Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

noch sehr milde; es ist eine Nemesis, die nicht umhin
kann, in Erwägung der Größe des Helden, immer noch
ein wenig galant zu seyn. Napoleon giebt uns ein
Beyspiel, wie gefährlich es sey, sich ins Absolute zu
erheben und alles der Ausführung einer Idee zu opfern."

Wir sprachen noch manches dahin Bezügliche, und
ich ging darauf ins Theater um den Stern von
Sevilla
zu sehen.


Diesen Mittag auf meinem Wege zu Goethe, der
mich zu Tisch eingeladen hatte, traf mich die Nachricht
von dem so eben erfolgten Tode der Großherzogin
Mutter
. Wie wird das bey seinem hohen Alter auf
Goethe wirken! war mein erster Gedanke, und so betrat
ich mit einiger Apprehension das Haus. Die Diener¬
schaft sagte mir, daß seine Schwiegertochter so eben zu
ihm gegangen sey, um ihm die betrübende Botschaft
mitzutheilen. Seit länger als funfzig Jahren, sagte ich
mir, ist er dieser Fürstin verbunden gewesen, er hat
ihrer besonderen Huld und Gnade sich zu erfreuen ge¬
habt, ihr Tod muß ihn tief berühren. Mit solchen Ge¬
danken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war
nicht wenig überrascht, ihn vollkommen heiter und kräf¬

noch ſehr milde; es iſt eine Nemeſis, die nicht umhin
kann, in Erwaͤgung der Groͤße des Helden, immer noch
ein wenig galant zu ſeyn. Napoleon giebt uns ein
Beyſpiel, wie gefaͤhrlich es ſey, ſich ins Abſolute zu
erheben und alles der Ausfuͤhrung einer Idee zu opfern.“

Wir ſprachen noch manches dahin Bezuͤgliche, und
ich ging darauf ins Theater um den Stern von
Sevilla
zu ſehen.


Dieſen Mittag auf meinem Wege zu Goethe, der
mich zu Tiſch eingeladen hatte, traf mich die Nachricht
von dem ſo eben erfolgten Tode der Großherzogin
Mutter
. Wie wird das bey ſeinem hohen Alter auf
Goethe wirken! war mein erſter Gedanke, und ſo betrat
ich mit einiger Apprehenſion das Haus. Die Diener¬
ſchaft ſagte mir, daß ſeine Schwiegertochter ſo eben zu
ihm gegangen ſey, um ihm die betruͤbende Botſchaft
mitzutheilen. Seit laͤnger als funfzig Jahren, ſagte ich
mir, iſt er dieſer Fuͤrſtin verbunden geweſen, er hat
ihrer beſonderen Huld und Gnade ſich zu erfreuen ge¬
habt, ihr Tod muß ihn tief beruͤhren. Mit ſolchen Ge¬
danken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war
nicht wenig uͤberraſcht, ihn vollkommen heiter und kraͤf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0194" n="184"/>
noch &#x017F;ehr milde; es i&#x017F;t eine Neme&#x017F;is, die nicht umhin<lb/>
kann, in Erwa&#x0364;gung der Gro&#x0364;ße des Helden, immer noch<lb/>
ein wenig galant zu &#x017F;eyn. Napoleon giebt uns ein<lb/>
Bey&#x017F;piel, wie gefa&#x0364;hrlich es &#x017F;ey, &#x017F;ich ins Ab&#x017F;olute zu<lb/>
erheben und alles der Ausfu&#x0364;hrung einer Idee zu opfern.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;prachen noch manches dahin Bezu&#x0364;gliche, und<lb/>
ich ging darauf ins Theater um den <hi rendition="#g">Stern von<lb/>
Sevilla</hi> zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Sonntag, den 14. Februar 1830.<lb/></dateline>
          <p>Die&#x017F;en Mittag auf meinem Wege zu Goethe, der<lb/>
mich zu Ti&#x017F;ch eingeladen hatte, traf mich die Nachricht<lb/>
von dem &#x017F;o eben erfolgten Tode der <hi rendition="#g">Großherzogin<lb/>
Mutter</hi>. Wie wird das bey &#x017F;einem hohen Alter auf<lb/>
Goethe wirken! war mein er&#x017F;ter Gedanke, und &#x017F;o betrat<lb/>
ich mit einiger Apprehen&#x017F;ion das Haus. Die Diener¬<lb/>
&#x017F;chaft &#x017F;agte mir, daß &#x017F;eine Schwiegertochter &#x017F;o eben zu<lb/>
ihm gegangen &#x017F;ey, um ihm die betru&#x0364;bende Bot&#x017F;chaft<lb/>
mitzutheilen. Seit la&#x0364;nger als funfzig Jahren, &#x017F;agte ich<lb/>
mir, i&#x017F;t er die&#x017F;er Fu&#x0364;r&#x017F;tin verbunden gewe&#x017F;en, er hat<lb/>
ihrer be&#x017F;onderen Huld und Gnade &#x017F;ich zu erfreuen ge¬<lb/>
habt, ihr Tod muß ihn tief beru&#x0364;hren. Mit &#x017F;olchen Ge¬<lb/>
danken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war<lb/>
nicht wenig u&#x0364;berra&#x017F;cht, ihn vollkommen heiter und kra&#x0364;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0194] noch ſehr milde; es iſt eine Nemeſis, die nicht umhin kann, in Erwaͤgung der Groͤße des Helden, immer noch ein wenig galant zu ſeyn. Napoleon giebt uns ein Beyſpiel, wie gefaͤhrlich es ſey, ſich ins Abſolute zu erheben und alles der Ausfuͤhrung einer Idee zu opfern.“ Wir ſprachen noch manches dahin Bezuͤgliche, und ich ging darauf ins Theater um den Stern von Sevilla zu ſehen. Sonntag, den 14. Februar 1830. Dieſen Mittag auf meinem Wege zu Goethe, der mich zu Tiſch eingeladen hatte, traf mich die Nachricht von dem ſo eben erfolgten Tode der Großherzogin Mutter. Wie wird das bey ſeinem hohen Alter auf Goethe wirken! war mein erſter Gedanke, und ſo betrat ich mit einiger Apprehenſion das Haus. Die Diener¬ ſchaft ſagte mir, daß ſeine Schwiegertochter ſo eben zu ihm gegangen ſey, um ihm die betruͤbende Botſchaft mitzutheilen. Seit laͤnger als funfzig Jahren, ſagte ich mir, iſt er dieſer Fuͤrſtin verbunden geweſen, er hat ihrer beſonderen Huld und Gnade ſich zu erfreuen ge¬ habt, ihr Tod muß ihn tief beruͤhren. Mit ſolchen Ge¬ danken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war nicht wenig uͤberraſcht, ihn vollkommen heiter und kraͤf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/194
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/194>, abgerufen am 24.04.2024.