Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

und Nebel, in der Nähe einer Refuge, kam ein Knabe
mit seinem Schwesterchen den Berg herauf an unsern
Wagen. Beyde hatten kleine Körbe auf dem Rücken,
mit Holz, das sie in dem untern Gebirge, wo noch
einige Vegetation ist, geholt hatten. Der Knabe reichte
uns einige Bergkristalle und sonstiges Gestein, wofür
wir ihm einige kleine Münze gaben. Nun hat sich mir
als unvergeßlich eingeprägt, mit welcher Wonne er ver¬
stohlen auf sein Geld blickte, indem er an unserm Wa¬
gen herging. Diesen himmlischen Ausdruck von Glück¬
seligkeit habe ich nie vorher gesehen. Ich hatte zu be¬
denken, daß Gott alle Quellen und alle Fähigkeiten des
Glücks in das menschliche Gemüth gelegt hat, und daß
es zum Glück völlig gleich ist, wo und wie einer wohnt.


Ich wollte in meinen Mittheilungen fortfahren, allein
ich ward unterbrochen, und kam während meines ferne¬
ren Aufenthaltes in Italien, wo freylich kein Tag ohne
bedeutende Eindrücke und Beobachtungen verging, nicht
wieder zum Schreiben. Erst nachdem ich mich von
Goethe dem Sohne getrennt und die Alpen im Rücken
hatte, richtete ich Folgendes wieder an Goethe.


und Nebel, in der Naͤhe einer Refuge, kam ein Knabe
mit ſeinem Schweſterchen den Berg herauf an unſern
Wagen. Beyde hatten kleine Koͤrbe auf dem Ruͤcken,
mit Holz, das ſie in dem untern Gebirge, wo noch
einige Vegetation iſt, geholt hatten. Der Knabe reichte
uns einige Bergkriſtalle und ſonſtiges Geſtein, wofuͤr
wir ihm einige kleine Muͤnze gaben. Nun hat ſich mir
als unvergeßlich eingepraͤgt, mit welcher Wonne er ver¬
ſtohlen auf ſein Geld blickte, indem er an unſerm Wa¬
gen herging. Dieſen himmliſchen Ausdruck von Gluͤck¬
ſeligkeit habe ich nie vorher geſehen. Ich hatte zu be¬
denken, daß Gott alle Quellen und alle Faͤhigkeiten des
Gluͤcks in das menſchliche Gemuͤth gelegt hat, und daß
es zum Gluͤck voͤllig gleich iſt, wo und wie einer wohnt.


Ich wollte in meinen Mittheilungen fortfahren, allein
ich ward unterbrochen, und kam waͤhrend meines ferne¬
ren Aufenthaltes in Italien, wo freylich kein Tag ohne
bedeutende Eindruͤcke und Beobachtungen verging, nicht
wieder zum Schreiben. Erſt nachdem ich mich von
Goethe dem Sohne getrennt und die Alpen im Ruͤcken
hatte, richtete ich Folgendes wieder an Goethe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0228" n="218"/>
und Nebel, in der Na&#x0364;he einer Refuge, kam ein Knabe<lb/>
mit &#x017F;einem Schwe&#x017F;terchen den Berg herauf an un&#x017F;ern<lb/>
Wagen. Beyde hatten kleine Ko&#x0364;rbe auf dem Ru&#x0364;cken,<lb/>
mit Holz, das &#x017F;ie in dem untern Gebirge, wo noch<lb/>
einige Vegetation i&#x017F;t, geholt hatten. Der Knabe reichte<lb/>
uns einige Bergkri&#x017F;talle und &#x017F;on&#x017F;tiges Ge&#x017F;tein, wofu&#x0364;r<lb/>
wir ihm einige kleine Mu&#x0364;nze gaben. Nun hat &#x017F;ich mir<lb/>
als unvergeßlich eingepra&#x0364;gt, mit welcher Wonne er ver¬<lb/>
&#x017F;tohlen auf &#x017F;ein Geld blickte, indem er an un&#x017F;erm Wa¬<lb/>
gen herging. Die&#x017F;en himmli&#x017F;chen Ausdruck von Glu&#x0364;ck¬<lb/>
&#x017F;eligkeit habe ich nie vorher ge&#x017F;ehen. Ich hatte zu be¬<lb/>
denken, daß Gott alle Quellen und alle Fa&#x0364;higkeiten des<lb/>
Glu&#x0364;cks in das men&#x017F;chliche Gemu&#x0364;th gelegt hat, und daß<lb/>
es zum Glu&#x0364;ck vo&#x0364;llig gleich i&#x017F;t, wo und wie einer wohnt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Ich wollte in meinen Mittheilungen fortfahren, allein<lb/>
ich ward unterbrochen, und kam wa&#x0364;hrend meines ferne¬<lb/>
ren Aufenthaltes in Italien, wo freylich kein Tag ohne<lb/>
bedeutende Eindru&#x0364;cke und Beobachtungen verging, nicht<lb/>
wieder zum Schreiben. Er&#x017F;t nachdem ich mich von<lb/>
Goethe dem Sohne getrennt und die Alpen im Ru&#x0364;cken<lb/>
hatte, richtete ich Folgendes wieder an Goethe.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0228] und Nebel, in der Naͤhe einer Refuge, kam ein Knabe mit ſeinem Schweſterchen den Berg herauf an unſern Wagen. Beyde hatten kleine Koͤrbe auf dem Ruͤcken, mit Holz, das ſie in dem untern Gebirge, wo noch einige Vegetation iſt, geholt hatten. Der Knabe reichte uns einige Bergkriſtalle und ſonſtiges Geſtein, wofuͤr wir ihm einige kleine Muͤnze gaben. Nun hat ſich mir als unvergeßlich eingepraͤgt, mit welcher Wonne er ver¬ ſtohlen auf ſein Geld blickte, indem er an unſerm Wa¬ gen herging. Dieſen himmliſchen Ausdruck von Gluͤck¬ ſeligkeit habe ich nie vorher geſehen. Ich hatte zu be¬ denken, daß Gott alle Quellen und alle Faͤhigkeiten des Gluͤcks in das menſchliche Gemuͤth gelegt hat, und daß es zum Gluͤck voͤllig gleich iſt, wo und wie einer wohnt. Ich wollte in meinen Mittheilungen fortfahren, allein ich ward unterbrochen, und kam waͤhrend meines ferne¬ ren Aufenthaltes in Italien, wo freylich kein Tag ohne bedeutende Eindruͤcke und Beobachtungen verging, nicht wieder zum Schreiben. Erſt nachdem ich mich von Goethe dem Sohne getrennt und die Alpen im Ruͤcken hatte, richtete ich Folgendes wieder an Goethe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/228
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/228>, abgerufen am 25.04.2024.