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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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man von dem Gegenstande und Zweck seiner Kabiren¬
schrift dasselbige sagen, so würden wir ihn auch da
rühmen müssen, denn seine rhetorischen Talente und
Künste hat er auch da bewiesen."

Schellings Kabiren brachten das Gespräch auf die
classische Walpurgisnacht, und wie sich diese von den
Brockenscenen des ersten Theiles unterscheide.

"Die alte Walpurgisnacht, sagte Goethe, ist mon¬
archisch, indem der Teufel dort überall als entschiedenes
Oberhaupt respectirt wird. Die classische aber ist durch¬
aus republikanisch, indem Alles in der Breite neben ein¬
ander steht, so daß der Eine so viel gilt wie der An¬
dere, und niemand sich subordinirt und sich um den
Andern bekümmert."

Auch, sagte ich, sondert sich in der classischen alles
in scharf umrissene Individualitäten, während auf dem
deutschen Blocksberg jedes Einzelne sich in eine allge¬
meine Hexenmasse auflöset.

"Deßhalb, sagte Goethe, weiß auch der Mephisto¬
pheles, was es zu bedeuten hat, wenn der Homuncu¬
lus ihm von thessalischen Hexen redet. Ein guter
Kenner des Alterthums wird bey dem Wort thessali¬
sche Hexen
sich auch Einiges zu denken vermögen,
während es dem Ungelehrten ein bloßer Name bleibt."

Das Alterthum, sagte ich, mußte Ihnen doch sehr
lebendig seyn, um alle jene Figuren wieder so frisch ins
Leben treten zu lassen, und sie mit solcher Freyheit

man von dem Gegenſtande und Zweck ſeiner Kabiren¬
ſchrift daſſelbige ſagen, ſo wuͤrden wir ihn auch da
ruͤhmen muͤſſen, denn ſeine rhetoriſchen Talente und
Kuͤnſte hat er auch da bewieſen.“

Schellings Kabiren brachten das Geſpraͤch auf die
claſſiſche Walpurgisnacht, und wie ſich dieſe von den
Brockenſcenen des erſten Theiles unterſcheide.

„Die alte Walpurgisnacht, ſagte Goethe, iſt mon¬
archiſch, indem der Teufel dort uͤberall als entſchiedenes
Oberhaupt reſpectirt wird. Die claſſiſche aber iſt durch¬
aus republikaniſch, indem Alles in der Breite neben ein¬
ander ſteht, ſo daß der Eine ſo viel gilt wie der An¬
dere, und niemand ſich ſubordinirt und ſich um den
Andern bekuͤmmert.“

Auch, ſagte ich, ſondert ſich in der claſſiſchen alles
in ſcharf umriſſene Individualitaͤten, waͤhrend auf dem
deutſchen Blocksberg jedes Einzelne ſich in eine allge¬
meine Hexenmaſſe aufloͤſet.

„Deßhalb, ſagte Goethe, weiß auch der Mephiſto¬
pheles, was es zu bedeuten hat, wenn der Homuncu¬
lus ihm von theſſaliſchen Hexen redet. Ein guter
Kenner des Alterthums wird bey dem Wort theſſali¬
ſche Hexen
ſich auch Einiges zu denken vermoͤgen,
waͤhrend es dem Ungelehrten ein bloßer Name bleibt.“

Das Alterthum, ſagte ich, mußte Ihnen doch ſehr
lebendig ſeyn, um alle jene Figuren wieder ſo friſch ins
Leben treten zu laſſen, und ſie mit ſolcher Freyheit

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[285/0295] man von dem Gegenſtande und Zweck ſeiner Kabiren¬ ſchrift daſſelbige ſagen, ſo wuͤrden wir ihn auch da ruͤhmen muͤſſen, denn ſeine rhetoriſchen Talente und Kuͤnſte hat er auch da bewieſen.“ Schellings Kabiren brachten das Geſpraͤch auf die claſſiſche Walpurgisnacht, und wie ſich dieſe von den Brockenſcenen des erſten Theiles unterſcheide. „Die alte Walpurgisnacht, ſagte Goethe, iſt mon¬ archiſch, indem der Teufel dort uͤberall als entſchiedenes Oberhaupt reſpectirt wird. Die claſſiſche aber iſt durch¬ aus republikaniſch, indem Alles in der Breite neben ein¬ ander ſteht, ſo daß der Eine ſo viel gilt wie der An¬ dere, und niemand ſich ſubordinirt und ſich um den Andern bekuͤmmert.“ Auch, ſagte ich, ſondert ſich in der claſſiſchen alles in ſcharf umriſſene Individualitaͤten, waͤhrend auf dem deutſchen Blocksberg jedes Einzelne ſich in eine allge¬ meine Hexenmaſſe aufloͤſet. „Deßhalb, ſagte Goethe, weiß auch der Mephiſto¬ pheles, was es zu bedeuten hat, wenn der Homuncu¬ lus ihm von theſſaliſchen Hexen redet. Ein guter Kenner des Alterthums wird bey dem Wort theſſali¬ ſche Hexen ſich auch Einiges zu denken vermoͤgen, waͤhrend es dem Ungelehrten ein bloßer Name bleibt.“ Das Alterthum, ſagte ich, mußte Ihnen doch ſehr lebendig ſeyn, um alle jene Figuren wieder ſo friſch ins Leben treten zu laſſen, und ſie mit ſolcher Freyheit

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/295>, abgerufen am 25.04.2024.