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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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ler die Staubfäden nach, während er für malerische
Gruppirung und Beleuchtung kein Auge hat."


Ich verlebte heute mit Goethe wieder sehr schöne
Stunden. "Mit meiner Metamorphose der Pflan¬
zen
, sagte er, habe ich so gut wie abgeschlossen. Das¬
jenige, was ich über die Spirale und Herrn von
Martius noch zu sagen hatte, ist auch so gut wie
fertig, und ich habe mich diesen Morgen schon wieder
dem vierten Bande meiner Biographie zugewendet, und
ein Schema von dem geschrieben, was noch zu thun
ist. Ich kann es gewissermaßen beneidenswürdig nen¬
nen, daß mir noch in meinem hohen Alter vergönnt
ist, die Geschichte meiner Jugend zu schreiben, und zwar
eine Epoche, die in mancher Hinsicht von großer Be¬
deutung ist."

Wir sprachen die einzelnen Theile durch, die mir
wie ihm vollkommen gegenwärtig waren.

Bey dem dargestellten Liebesverhältniß mit Lili,
sagte ich, vermißt man Ihre Jugend keineswegs, viel¬
mehr haben solche Scenen den vollkommenen Hauch der
frühen Jahre.

"Das kommt daher, sagte Goethe, weil solche
Scenen poetisch sind, und ich durch die Kraft der Poesie

ler die Staubfaͤden nach, waͤhrend er fuͤr maleriſche
Gruppirung und Beleuchtung kein Auge hat.“


Ich verlebte heute mit Goethe wieder ſehr ſchoͤne
Stunden. „Mit meiner Metamorphoſe der Pflan¬
zen
, ſagte er, habe ich ſo gut wie abgeſchloſſen. Das¬
jenige, was ich uͤber die Spirale und Herrn von
Martius noch zu ſagen hatte, iſt auch ſo gut wie
fertig, und ich habe mich dieſen Morgen ſchon wieder
dem vierten Bande meiner Biographie zugewendet, und
ein Schema von dem geſchrieben, was noch zu thun
iſt. Ich kann es gewiſſermaßen beneidenswuͤrdig nen¬
nen, daß mir noch in meinem hohen Alter vergoͤnnt
iſt, die Geſchichte meiner Jugend zu ſchreiben, und zwar
eine Epoche, die in mancher Hinſicht von großer Be¬
deutung iſt.“

Wir ſprachen die einzelnen Theile durch, die mir
wie ihm vollkommen gegenwaͤrtig waren.

Bey dem dargeſtellten Liebesverhaͤltniß mit Lili,
ſagte ich, vermißt man Ihre Jugend keineswegs, viel¬
mehr haben ſolche Scenen den vollkommenen Hauch der
fruͤhen Jahre.

„Das kommt daher, ſagte Goethe, weil ſolche
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[330/0340] ler die Staubfaͤden nach, waͤhrend er fuͤr maleriſche Gruppirung und Beleuchtung kein Auge hat.“ Montag den 28. Maͤrz 1831. Ich verlebte heute mit Goethe wieder ſehr ſchoͤne Stunden. „Mit meiner Metamorphoſe der Pflan¬ zen, ſagte er, habe ich ſo gut wie abgeſchloſſen. Das¬ jenige, was ich uͤber die Spirale und Herrn von Martius noch zu ſagen hatte, iſt auch ſo gut wie fertig, und ich habe mich dieſen Morgen ſchon wieder dem vierten Bande meiner Biographie zugewendet, und ein Schema von dem geſchrieben, was noch zu thun iſt. Ich kann es gewiſſermaßen beneidenswuͤrdig nen¬ nen, daß mir noch in meinem hohen Alter vergoͤnnt iſt, die Geſchichte meiner Jugend zu ſchreiben, und zwar eine Epoche, die in mancher Hinſicht von großer Be¬ deutung iſt.“ Wir ſprachen die einzelnen Theile durch, die mir wie ihm vollkommen gegenwaͤrtig waren. Bey dem dargeſtellten Liebesverhaͤltniß mit Lili, ſagte ich, vermißt man Ihre Jugend keineswegs, viel¬ mehr haben ſolche Scenen den vollkommenen Hauch der fruͤhen Jahre. „Das kommt daher, ſagte Goethe, weil ſolche Scenen poetiſch ſind, und ich durch die Kraft der Poeſie

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/340>, abgerufen am 28.03.2024.