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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Es fehlte in dieser Zeit nicht an mannigfachen in¬
teressanten Unterhaltungen und geistreichen Äußerungen
seinerseits. Allein, wie er in völliger Kraft und Frische
mir täglich vor Augen war, so dachte ich es würde im¬
mer so fortgehen, und war in Auffassung seiner Worte
gleichgültiger als billig, bis es denn endlich zu spät
war, und ich am 22. März 1832 mit Tausenden von
edlen Deutschen seinen unersetzlichen Verlust zu bewei¬
nen hatte.

Folgendes notirte ich nicht lange darauf aus der
nächsten Erinnerung.


Goethe erzählte bey Tisch, daß der Baron Carl
v. Spiegel ihn besucht, und daß er ihm über die Maßen
wohl gefallen. "Er ist ein sehr hübscher junger Mann,
sagte Goethe; er hat in seiner Art, in seinem Benehmen
ein Etwas, woran man sogleich den Edelmann erkennet.
Seine Abkunft könnte er eben so wenig verleugnen, als
jemand einen höheren Geist verleugnen könnte. Denn
Beydes, Geburt und Geist, geben dem, der sie einmal
besitzet, ein Gepräge, das sich durch kein Incognito ver¬
bergen läßt. Es sind Gewalten wie die Schönheit, de¬

Es fehlte in dieſer Zeit nicht an mannigfachen in¬
tereſſanten Unterhaltungen und geiſtreichen Äußerungen
ſeinerſeits. Allein, wie er in voͤlliger Kraft und Friſche
mir taͤglich vor Augen war, ſo dachte ich es wuͤrde im¬
mer ſo fortgehen, und war in Auffaſſung ſeiner Worte
gleichguͤltiger als billig, bis es denn endlich zu ſpaͤt
war, und ich am 22. Maͤrz 1832 mit Tauſenden von
edlen Deutſchen ſeinen unerſetzlichen Verluſt zu bewei¬
nen hatte.

Folgendes notirte ich nicht lange darauf aus der
naͤchſten Erinnerung.


Goethe erzaͤhlte bey Tiſch, daß der Baron Carl
v. Spiegel ihn beſucht, und daß er ihm uͤber die Maßen
wohl gefallen. „Er iſt ein ſehr huͤbſcher junger Mann,
ſagte Goethe; er hat in ſeiner Art, in ſeinem Benehmen
ein Etwas, woran man ſogleich den Edelmann erkennet.
Seine Abkunft koͤnnte er eben ſo wenig verleugnen, als
jemand einen hoͤheren Geiſt verleugnen koͤnnte. Denn
Beydes, Geburt und Geiſt, geben dem, der ſie einmal
beſitzet, ein Gepraͤge, das ſich durch kein Incognito ver¬
bergen laͤßt. Es ſind Gewalten wie die Schoͤnheit, de¬

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[355/0365] Es fehlte in dieſer Zeit nicht an mannigfachen in¬ tereſſanten Unterhaltungen und geiſtreichen Äußerungen ſeinerſeits. Allein, wie er in voͤlliger Kraft und Friſche mir taͤglich vor Augen war, ſo dachte ich es wuͤrde im¬ mer ſo fortgehen, und war in Auffaſſung ſeiner Worte gleichguͤltiger als billig, bis es denn endlich zu ſpaͤt war, und ich am 22. Maͤrz 1832 mit Tauſenden von edlen Deutſchen ſeinen unerſetzlichen Verluſt zu bewei¬ nen hatte. Folgendes notirte ich nicht lange darauf aus der naͤchſten Erinnerung. Anfangs Maͤrz 1832. Goethe erzaͤhlte bey Tiſch, daß der Baron Carl v. Spiegel ihn beſucht, und daß er ihm uͤber die Maßen wohl gefallen. „Er iſt ein ſehr huͤbſcher junger Mann, ſagte Goethe; er hat in ſeiner Art, in ſeinem Benehmen ein Etwas, woran man ſogleich den Edelmann erkennet. Seine Abkunft koͤnnte er eben ſo wenig verleugnen, als jemand einen hoͤheren Geiſt verleugnen koͤnnte. Denn Beydes, Geburt und Geiſt, geben dem, der ſie einmal beſitzet, ein Gepraͤge, das ſich durch kein Incognito ver¬ bergen laͤßt. Es ſind Gewalten wie die Schoͤnheit, de¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/365>, abgerufen am 24.04.2024.