Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Mensch muß wieder ruinirt werden! -- Jeder
außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die
er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so
ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnö¬
then, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas
Anderem. Da aber hienieden Alles auf natürlichem
Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein
nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging
es Napoleon und vielen Anderen. Mozart starb in
seinem sechs und dreißigsten Jahre. Raphael in glei¬
chem Alter. Byron nur um Weniges älter. Alle
aber hatten ihre Mission auf das Vollkommenste erfüllt,
und es war wohl Zeit daß sie gingen, damit auch
anderen Leuten in dieser, auf eine lange Dauer berech¬
neten, Welt noch etwas zu thun übrig bliebe."

Es war indeß tief Abend geworden, Goethe reichte
mir seine liebe Hand, und ich ging.


Nachdem ich Goethe gestern Abend verlassen hatte,
lag mir das mit ihm geführte bedeutende Gespräch fort¬
während im Sinne.

Auch von den Kräften des Meeres und der See¬
luft
war die Rede gewesen, wo denn Goethe die
Meinung äußerte, daß er alle Insulaner und Meer-
Anwohner des gemäßigten Klima's bei weitem für pro¬

III. 16

Menſch muß wieder ruinirt werden! — Jeder
außerordentliche Menſch hat eine gewiſſe Sendung, die
er zu vollführen berufen iſt. Hat er ſie vollbracht, ſo
iſt er auf Erden in dieſer Geſtalt nicht weiter vonnö¬
then, und die Vorſehung verwendet ihn wieder zu etwas
Anderem. Da aber hienieden Alles auf natürlichem
Wege geſchieht, ſo ſtellen ihm die Dämonen ein Bein
nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging
es Napoleon und vielen Anderen. Mozart ſtarb in
ſeinem ſechs und dreißigſten Jahre. Raphael in glei¬
chem Alter. Byron nur um Weniges älter. Alle
aber hatten ihre Miſſion auf das Vollkommenſte erfüllt,
und es war wohl Zeit daß ſie gingen, damit auch
anderen Leuten in dieſer, auf eine lange Dauer berech¬
neten, Welt noch etwas zu thun übrig bliebe.“

Es war indeß tief Abend geworden, Goethe reichte
mir ſeine liebe Hand, und ich ging.


Nachdem ich Goethe geſtern Abend verlaſſen hatte,
lag mir das mit ihm geführte bedeutende Geſpräch fort¬
während im Sinne.

Auch von den Kräften des Meeres und der See¬
luft
war die Rede geweſen, wo denn Goethe die
Meinung äußerte, daß er alle Inſulaner und Meer-
Anwohner des gemäßigten Klima's bei weitem für pro¬

III. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0263" n="241"/>
Men&#x017F;ch muß wieder ruinirt werden</hi>! &#x2014; Jeder<lb/>
außerordentliche Men&#x017F;ch hat eine gewi&#x017F;&#x017F;e Sendung, die<lb/>
er zu vollführen berufen i&#x017F;t. Hat er &#x017F;ie vollbracht, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t er auf Erden in die&#x017F;er Ge&#x017F;talt nicht weiter vonnö¬<lb/>
then, und die Vor&#x017F;ehung verwendet ihn wieder zu etwas<lb/>
Anderem. Da aber hienieden Alles auf natürlichem<lb/>
Wege ge&#x017F;chieht, &#x017F;o &#x017F;tellen ihm die Dämonen ein Bein<lb/>
nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging<lb/>
es Napoleon und vielen Anderen. Mozart &#x017F;tarb in<lb/>
&#x017F;einem &#x017F;echs und dreißig&#x017F;ten Jahre. Raphael in glei¬<lb/>
chem Alter. Byron nur um Weniges älter. Alle<lb/>
aber hatten ihre Mi&#x017F;&#x017F;ion auf das Vollkommen&#x017F;te erfüllt,<lb/>
und es war wohl Zeit daß &#x017F;ie gingen, damit auch<lb/>
anderen Leuten in die&#x017F;er, auf eine lange Dauer berech¬<lb/>
neten, Welt noch etwas zu thun übrig bliebe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Es war indeß tief Abend geworden, Goethe reichte<lb/>
mir &#x017F;eine liebe Hand, und ich ging.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 12. März 1828.<lb/></dateline>
          <p>Nachdem ich Goethe ge&#x017F;tern Abend verla&#x017F;&#x017F;en hatte,<lb/>
lag mir das mit ihm geführte bedeutende Ge&#x017F;präch fort¬<lb/>
während im Sinne.</p><lb/>
          <p>Auch von den Kräften des <hi rendition="#g">Meeres</hi> und der <hi rendition="#g">See¬<lb/>
luft</hi> war die Rede gewe&#x017F;en, wo denn Goethe die<lb/>
Meinung äußerte, daß er alle In&#x017F;ulaner und Meer-<lb/>
Anwohner des gemäßigten Klima's bei weitem für pro¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III</hi>. 16<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0263] Menſch muß wieder ruinirt werden! — Jeder außerordentliche Menſch hat eine gewiſſe Sendung, die er zu vollführen berufen iſt. Hat er ſie vollbracht, ſo iſt er auf Erden in dieſer Geſtalt nicht weiter vonnö¬ then, und die Vorſehung verwendet ihn wieder zu etwas Anderem. Da aber hienieden Alles auf natürlichem Wege geſchieht, ſo ſtellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging es Napoleon und vielen Anderen. Mozart ſtarb in ſeinem ſechs und dreißigſten Jahre. Raphael in glei¬ chem Alter. Byron nur um Weniges älter. Alle aber hatten ihre Miſſion auf das Vollkommenſte erfüllt, und es war wohl Zeit daß ſie gingen, damit auch anderen Leuten in dieſer, auf eine lange Dauer berech¬ neten, Welt noch etwas zu thun übrig bliebe.“ Es war indeß tief Abend geworden, Goethe reichte mir ſeine liebe Hand, und ich ging. Mittwoch, den 12. März 1828. Nachdem ich Goethe geſtern Abend verlaſſen hatte, lag mir das mit ihm geführte bedeutende Geſpräch fort¬ während im Sinne. Auch von den Kräften des Meeres und der See¬ luft war die Rede geweſen, wo denn Goethe die Meinung äußerte, daß er alle Inſulaner und Meer- Anwohner des gemäßigten Klima's bei weitem für pro¬ III. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/263
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/263>, abgerufen am 16.04.2024.