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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Vortheil erscheinen zu lassen, und der jede empfindsame
Phrase vermieden, wo schon die einfache Darlegung der
Ereignisse genügte.

Auch ist die Liebe selbst, fügte ich hinzu, sich nie¬
mals gleich; sie ist stets original und modificirt sich
stets nach dem Charakter und der Persönlichkeit derje¬
nigen, die wir lieben.

"Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe;
denn nicht bloß wir sind die Liebe, sondern es ist es
auch das uns anreizende liebe Object. Und dann,
was nicht zu vergessen, kommt als ein mächtiges Drit¬
tes noch das Dämonische hinzu, das jede Leidenschaft
zu begleiten pflegt und das in der Liebe sein eigent¬
liches Element findet. In meinem Verhältniß zu Lili
war es besonders wirksam; es gab meinem ganzen Le¬
ben eine andere Richtung und ich sage nicht zuviel,
wenn ich behaupte, daß meine Herkunft nach Weimar
und mein jetziges Hierseyn davon eine unmittelbare
Folge war."


Goethe liest seit einiger Zeit die Memoiren von
St. Simon. --

"Mit dem Tode von Ludwig dem Vierzehnten, sagte er
mir vor einigen Tagen, habe ich jetzt Halt gemacht. Bis
dahin hat mich das Dutzend Bände im hohen Grade
interessirt, und zwar durch den Contrast der Willens¬

Vortheil erſcheinen zu laſſen, und der jede empfindſame
Phraſe vermieden, wo ſchon die einfache Darlegung der
Ereigniſſe genügte.

Auch iſt die Liebe ſelbſt, fügte ich hinzu, ſich nie¬
mals gleich; ſie iſt ſtets original und modificirt ſich
ſtets nach dem Charakter und der Perſönlichkeit derje¬
nigen, die wir lieben.

„Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe;
denn nicht bloß wir ſind die Liebe, ſondern es iſt es
auch das uns anreizende liebe Object. Und dann,
was nicht zu vergeſſen, kommt als ein mächtiges Drit¬
tes noch das Dämoniſche hinzu, das jede Leidenſchaft
zu begleiten pflegt und das in der Liebe ſein eigent¬
liches Element findet. In meinem Verhältniß zu Lili
war es beſonders wirkſam; es gab meinem ganzen Le¬
ben eine andere Richtung und ich ſage nicht zuviel,
wenn ich behaupte, daß meine Herkunft nach Weimar
und mein jetziges Hierſeyn davon eine unmittelbare
Folge war.“


Goethe lieſt ſeit einiger Zeit die Memoiren von
St. Simon. —

„Mit dem Tode von Ludwig dem Vierzehnten, ſagte er
mir vor einigen Tagen, habe ich jetzt Halt gemacht. Bis
dahin hat mich das Dutzend Bände im hohen Grade
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[300/0322] Vortheil erſcheinen zu laſſen, und der jede empfindſame Phraſe vermieden, wo ſchon die einfache Darlegung der Ereigniſſe genügte. Auch iſt die Liebe ſelbſt, fügte ich hinzu, ſich nie¬ mals gleich; ſie iſt ſtets original und modificirt ſich ſtets nach dem Charakter und der Perſönlichkeit derje¬ nigen, die wir lieben. „Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe; denn nicht bloß wir ſind die Liebe, ſondern es iſt es auch das uns anreizende liebe Object. Und dann, was nicht zu vergeſſen, kommt als ein mächtiges Drit¬ tes noch das Dämoniſche hinzu, das jede Leidenſchaft zu begleiten pflegt und das in der Liebe ſein eigent¬ liches Element findet. In meinem Verhältniß zu Lili war es beſonders wirkſam; es gab meinem ganzen Le¬ ben eine andere Richtung und ich ſage nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß meine Herkunft nach Weimar und mein jetziges Hierſeyn davon eine unmittelbare Folge war.“ Sonnabend, den 6. März 1830*. Goethe lieſt ſeit einiger Zeit die Memoiren von St. Simon. — „Mit dem Tode von Ludwig dem Vierzehnten, ſagte er mir vor einigen Tagen, habe ich jetzt Halt gemacht. Bis dahin hat mich das Dutzend Bände im hohen Grade intereſſirt, und zwar durch den Contraſt der Willens¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/322>, abgerufen am 18.04.2024.