Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch
sehr beunruhigend, indem diesen Mittag die Besserung
nicht erfolgte wie gestern. In einem Anfall von Schwäche
sagte er zu seiner Schwiegertochter: "Ich fühle, daß
der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwischen
Leben und Tod beginnt."

Doch hatte der Kranke am Abend sein volles geistiges
Bewußtseyn und zeigte schon wieder einigen scherzhaften
Uebermuth. "Ihr seyd zu furchtsam mit Euren Mitteln,
sagte er zu Rehbein, Ihr schont mich zu sehr! -- Wenn
man einen Kranken vor sich hat, wie ich es bin, so
muß man ein wenig Napoleonisch mit ihm zu Werke
gehen." Er trank darauf eine Tasse eines Decocts
von Arnica, welche gestern, im gefährlichsten Moment
von Huschke angewendet, die glückliche Krisis bewirkt
hatte. Goethe machte eine gracieuse Beschreibung dieser
Pflanze und erhob ihre energischen Wirkungen in den
Himmel. -- Man sagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten
zugeben wollen, daß der Großherzog ihn sehe. "Wäre
ich der Großherzog, rief Goethe, so würde ich viel
gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben."

In einem Augenblick, wo er sich besser befand und
wo seine Brust freier zu seyn schien, sprach er mit
Leichtigkeit und klarem Geiste, worauf Rehbein einem
der Nahestehenden in's Ohr flisterte: "Eine bessere
Respiration pflegt eine bessere Inspiration mit sich

Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch
ſehr beunruhigend, indem dieſen Mittag die Beſſerung
nicht erfolgte wie geſtern. In einem Anfall von Schwäche
ſagte er zu ſeiner Schwiegertochter: „Ich fühle, daß
der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwiſchen
Leben und Tod beginnt.“

Doch hatte der Kranke am Abend ſein volles geiſtiges
Bewußtſeyn und zeigte ſchon wieder einigen ſcherzhaften
Uebermuth. „Ihr ſeyd zu furchtſam mit Euren Mitteln,
ſagte er zu Rehbein, Ihr ſchont mich zu ſehr! — Wenn
man einen Kranken vor ſich hat, wie ich es bin, ſo
muß man ein wenig Napoleoniſch mit ihm zu Werke
gehen.“ Er trank darauf eine Taſſe eines Decocts
von Arnica, welche geſtern, im gefährlichſten Moment
von Huſchke angewendet, die glückliche Kriſis bewirkt
hatte. Goethe machte eine gracieuſe Beſchreibung dieſer
Pflanze und erhob ihre energiſchen Wirkungen in den
Himmel. — Man ſagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten
zugeben wollen, daß der Großherzog ihn ſehe. „Wäre
ich der Großherzog, rief Goethe, ſo würde ich viel
gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.“

In einem Augenblick, wo er ſich beſſer befand und
wo ſeine Bruſt freier zu ſeyn ſchien, ſprach er mit
Leichtigkeit und klarem Geiſte, worauf Rehbein einem
der Naheſtehenden in's Ohr fliſterte: „Eine beſſere
Reſpiration pflegt eine beſſere Inſpiration mit ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0034" n="12"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Dienstag, den 24. Februar 1823*.<lb/></dateline>
          <p>Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch<lb/>
&#x017F;ehr beunruhigend, indem die&#x017F;en Mittag die Be&#x017F;&#x017F;erung<lb/>
nicht erfolgte wie ge&#x017F;tern. In einem Anfall von Schwäche<lb/>
&#x017F;agte er zu &#x017F;einer Schwiegertochter: &#x201E;Ich fühle, daß<lb/>
der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwi&#x017F;chen<lb/>
Leben und Tod beginnt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Doch hatte der Kranke am Abend &#x017F;ein volles gei&#x017F;tiges<lb/>
Bewußt&#x017F;eyn und zeigte &#x017F;chon wieder einigen &#x017F;cherzhaften<lb/>
Uebermuth. &#x201E;Ihr &#x017F;eyd zu furcht&#x017F;am mit Euren Mitteln,<lb/>
&#x017F;agte er zu Rehbein, Ihr &#x017F;chont mich zu &#x017F;ehr! &#x2014; Wenn<lb/>
man einen Kranken vor &#x017F;ich hat, wie ich es bin, &#x017F;o<lb/>
muß man ein wenig Napoleoni&#x017F;ch mit ihm zu Werke<lb/>
gehen.&#x201C; Er trank darauf eine Ta&#x017F;&#x017F;e eines Decocts<lb/>
von Arnica, welche ge&#x017F;tern, im gefährlich&#x017F;ten Moment<lb/>
von Hu&#x017F;chke angewendet, die glückliche Kri&#x017F;is bewirkt<lb/>
hatte. Goethe machte eine gracieu&#x017F;e Be&#x017F;chreibung die&#x017F;er<lb/>
Pflanze und erhob ihre energi&#x017F;chen Wirkungen in den<lb/>
Himmel. &#x2014; Man &#x017F;agte ihm, daß die Aerzte nicht hätten<lb/>
zugeben wollen, daß der Großherzog ihn &#x017F;ehe. &#x201E;Wäre<lb/>
ich der Großherzog, rief Goethe, &#x017F;o würde ich viel<lb/>
gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>In einem Augenblick, wo er &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er befand und<lb/>
wo &#x017F;eine Bru&#x017F;t freier zu &#x017F;eyn &#x017F;chien, &#x017F;prach er mit<lb/>
Leichtigkeit und klarem Gei&#x017F;te, worauf Rehbein einem<lb/>
der Nahe&#x017F;tehenden in's Ohr fli&#x017F;terte: &#x201E;Eine be&#x017F;&#x017F;ere<lb/><hi rendition="#g">Re</hi>&#x017F;piration pflegt eine be&#x017F;&#x017F;ere <hi rendition="#g">In</hi>&#x017F;piration mit &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0034] Dienstag, den 24. Februar 1823*. Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch ſehr beunruhigend, indem dieſen Mittag die Beſſerung nicht erfolgte wie geſtern. In einem Anfall von Schwäche ſagte er zu ſeiner Schwiegertochter: „Ich fühle, daß der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwiſchen Leben und Tod beginnt.“ Doch hatte der Kranke am Abend ſein volles geiſtiges Bewußtſeyn und zeigte ſchon wieder einigen ſcherzhaften Uebermuth. „Ihr ſeyd zu furchtſam mit Euren Mitteln, ſagte er zu Rehbein, Ihr ſchont mich zu ſehr! — Wenn man einen Kranken vor ſich hat, wie ich es bin, ſo muß man ein wenig Napoleoniſch mit ihm zu Werke gehen.“ Er trank darauf eine Taſſe eines Decocts von Arnica, welche geſtern, im gefährlichſten Moment von Huſchke angewendet, die glückliche Kriſis bewirkt hatte. Goethe machte eine gracieuſe Beſchreibung dieſer Pflanze und erhob ihre energiſchen Wirkungen in den Himmel. — Man ſagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten zugeben wollen, daß der Großherzog ihn ſehe. „Wäre ich der Großherzog, rief Goethe, ſo würde ich viel gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.“ In einem Augenblick, wo er ſich beſſer befand und wo ſeine Bruſt freier zu ſeyn ſchien, ſprach er mit Leichtigkeit und klarem Geiſte, worauf Rehbein einem der Naheſtehenden in's Ohr fliſterte: „Eine beſſere Reſpiration pflegt eine beſſere Inſpiration mit ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/34
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/34>, abgerufen am 18.04.2024.