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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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zu führen." Goethe, der es gehört, rief darauf mit
großer Heiterkeit: "Das weiß ich längst; aber diese
Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!"

Goethe saß aufrecht in seinem Bette, der offenen
Thür seines Arbeitzimmers gegenüber, wo seine näheren
Freunde versammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine
Züge erschienen mir wenig verändert, seine Stimme war
rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton,
wie der eines Sterbenden. "Ihr scheint zu glauben,
sagte er zu seinen Kindern, daß ich besser bin; aber Ihr
betrügt Euch." Man suchte ihm jedoch seine Appre¬
hensionen scherzend auszureden, welches er sich denn
auch gefallen zu lassen schien. Es waren indeß immer
noch mehr Personen in das Zimmer hereingetreten,
welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die
Gegenwart so vieler Menschen unnöthigerweise die Luft
verschlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege
war. Ich konnte nicht unterlassen, mich darüber auszu¬
sprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von
wo aus ich meine Bülletins der Kaiserlichen Hoheit
zuschickte.


Goethe hat sich Rechenschaft ablegen lassen über
das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet;
auch hat er die Listen der Personen gelesen, die sich bisher
nach seinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich

zu führen.“ Goethe, der es gehört, rief darauf mit
großer Heiterkeit: „Das weiß ich längſt; aber dieſe
Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!“

Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen
Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren
Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine
Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war
rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton,
wie der eines Sterbenden. „Ihr ſcheint zu glauben,
ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr
betrügt Euch.“ Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬
henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn
auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer
noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten,
welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die
Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft
verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege
war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬
ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von
wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit
zuſchickte.


Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über
das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet;
auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher
nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich

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[13/0035] zu führen.“ Goethe, der es gehört, rief darauf mit großer Heiterkeit: „Das weiß ich längſt; aber dieſe Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!“ Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton, wie der eines Sterbenden. „Ihr ſcheint zu glauben, ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr betrügt Euch.“ Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬ henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten, welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬ ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit zuſchickte. Mittwoch, den 25. Februar 1823*. Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet; auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/35>, abgerufen am 22.04.2024.