Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

rasche Justiz gewährt, so ist abermals nicht bloß ein
großes Uebel beseitigt, sondern abermals ein großes
Glück da.

"Aus diesem Tone, fiel Goethe ein, wollte ich Euch
noch ganz andere Lieder pfeifen. Aber wir wollen noch
einige Uebel unangedeutet lassen, damit der Menschheit
etwas bleibe, woran sie ihre Kräfte ferner entwickele.
Meine Hauptlehre aber ist vorläufig diese: Der Vater
sorge für sein Haus, der Handwerker für seine Kunden,
der Geistliche für gegenseitige Liebe, und die Polizei
störe die Freude nicht."


Ich durchblätterte mit Goethe einige Hefte Zeich¬
nungen meines Freundes Töpfer in Genf, dessen
Talent als Schriftsteller, wie als bildender Künstler,
gleich groß ist, der es aber bis jetzt vorzuziehen scheint,
die lebendigen Anschauungen seines Geistes durch sicht¬
bare Gestalten, statt durch flüchtige Worte, auszudrücken.
Das Heft, welches in leichten Federzeichnungen die
Abenteuer des Doctor Festus enthielt, machte voll¬
kommen den Eindruck eines komischen Romans und ge¬
fiel Goethen ganz besonders. "Es ist wirklich zu toll!
rief er von Zeit zu Zeit, indem er ein Blatt nach dem
andern umwendete; es funkelt Alles von Talent und
Geist! Einige Blätter sind ganz unübertrefflich! Wenn
er künftig einen weniger frivolen Gegenstand wählte

raſche Juſtiz gewährt, ſo iſt abermals nicht bloß ein
großes Uebel beſeitigt, ſondern abermals ein großes
Glück da.

„Aus dieſem Tone, fiel Goethe ein, wollte ich Euch
noch ganz andere Lieder pfeifen. Aber wir wollen noch
einige Uebel unangedeutet laſſen, damit der Menſchheit
etwas bleibe, woran ſie ihre Kräfte ferner entwickele.
Meine Hauptlehre aber iſt vorläufig dieſe: Der Vater
ſorge für ſein Haus, der Handwerker für ſeine Kunden,
der Geiſtliche für gegenſeitige Liebe, und die Polizei
ſtöre die Freude nicht.“


Ich durchblätterte mit Goethe einige Hefte Zeich¬
nungen meines Freundes Töpfer in Genf, deſſen
Talent als Schriftſteller, wie als bildender Künſtler,
gleich groß iſt, der es aber bis jetzt vorzuziehen ſcheint,
die lebendigen Anſchauungen ſeines Geiſtes durch ſicht¬
bare Geſtalten, ſtatt durch flüchtige Worte, auszudrücken.
Das Heft, welches in leichten Federzeichnungen die
Abenteuer des Doctor Feſtus enthielt, machte voll¬
kommen den Eindruck eines komiſchen Romans und ge¬
fiel Goethen ganz beſonders. „Es iſt wirklich zu toll!
rief er von Zeit zu Zeit, indem er ein Blatt nach dem
andern umwendete; es funkelt Alles von Talent und
Geiſt! Einige Blätter ſind ganz unübertrefflich! Wenn
er künftig einen weniger frivolen Gegenſtand wählte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0368" n="346"/>
ra&#x017F;che Ju&#x017F;tiz gewährt, &#x017F;o i&#x017F;t abermals nicht bloß ein<lb/>
großes Uebel be&#x017F;eitigt, &#x017F;ondern abermals ein großes<lb/>
Glück da.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aus die&#x017F;em Tone, fiel Goethe ein, wollte ich Euch<lb/>
noch ganz andere Lieder pfeifen. Aber wir wollen noch<lb/>
einige Uebel unangedeutet la&#x017F;&#x017F;en, damit der Men&#x017F;chheit<lb/>
etwas bleibe, woran &#x017F;ie ihre Kräfte ferner entwickele.<lb/>
Meine Hauptlehre aber i&#x017F;t vorläufig die&#x017F;e: Der Vater<lb/>
&#x017F;orge für &#x017F;ein Haus, der Handwerker für &#x017F;eine Kunden,<lb/>
der Gei&#x017F;tliche für gegen&#x017F;eitige Liebe, und die Polizei<lb/>
&#x017F;töre die Freude nicht.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Dienstag, den 4. Januar 1831*.<lb/></dateline>
          <p>Ich durchblätterte mit Goethe einige Hefte Zeich¬<lb/>
nungen meines Freundes <hi rendition="#g">Töpfer</hi> in Genf, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Talent als Schrift&#x017F;teller, wie als bildender Kün&#x017F;tler,<lb/>
gleich groß i&#x017F;t, der es aber bis jetzt vorzuziehen &#x017F;cheint,<lb/>
die lebendigen An&#x017F;chauungen &#x017F;eines Gei&#x017F;tes durch &#x017F;icht¬<lb/>
bare Ge&#x017F;talten, &#x017F;tatt durch flüchtige Worte, auszudrücken.<lb/>
Das Heft, welches in leichten Federzeichnungen die<lb/>
Abenteuer des Doctor <hi rendition="#g">Fe&#x017F;tus</hi> enthielt, machte voll¬<lb/>
kommen den Eindruck eines komi&#x017F;chen Romans und ge¬<lb/>
fiel Goethen ganz be&#x017F;onders. &#x201E;Es i&#x017F;t wirklich zu toll!<lb/>
rief er von Zeit zu Zeit, indem er ein Blatt nach dem<lb/>
andern umwendete; es funkelt Alles von Talent und<lb/>
Gei&#x017F;t! Einige Blätter &#x017F;ind ganz unübertrefflich! Wenn<lb/>
er künftig einen weniger frivolen Gegen&#x017F;tand wählte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0368] raſche Juſtiz gewährt, ſo iſt abermals nicht bloß ein großes Uebel beſeitigt, ſondern abermals ein großes Glück da. „Aus dieſem Tone, fiel Goethe ein, wollte ich Euch noch ganz andere Lieder pfeifen. Aber wir wollen noch einige Uebel unangedeutet laſſen, damit der Menſchheit etwas bleibe, woran ſie ihre Kräfte ferner entwickele. Meine Hauptlehre aber iſt vorläufig dieſe: Der Vater ſorge für ſein Haus, der Handwerker für ſeine Kunden, der Geiſtliche für gegenſeitige Liebe, und die Polizei ſtöre die Freude nicht.“ Dienstag, den 4. Januar 1831*. Ich durchblätterte mit Goethe einige Hefte Zeich¬ nungen meines Freundes Töpfer in Genf, deſſen Talent als Schriftſteller, wie als bildender Künſtler, gleich groß iſt, der es aber bis jetzt vorzuziehen ſcheint, die lebendigen Anſchauungen ſeines Geiſtes durch ſicht¬ bare Geſtalten, ſtatt durch flüchtige Worte, auszudrücken. Das Heft, welches in leichten Federzeichnungen die Abenteuer des Doctor Feſtus enthielt, machte voll¬ kommen den Eindruck eines komiſchen Romans und ge¬ fiel Goethen ganz beſonders. „Es iſt wirklich zu toll! rief er von Zeit zu Zeit, indem er ein Blatt nach dem andern umwendete; es funkelt Alles von Talent und Geiſt! Einige Blätter ſind ganz unübertrefflich! Wenn er künftig einen weniger frivolen Gegenſtand wählte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/368
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/368>, abgerufen am 29.03.2024.