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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Jahren von Goethe's Hierseyn erinnerte, erzählte uns
folgendes sehr Charakteristische.

Ich war dabei, sagte er, als Goethe im Jahre
1784 seine bekannte Rede bei der feierlichen Eröffnung
des Ilmenauer Bergwerks hielt, wozu er alle Beamten
und Interessenten aus der Stadt und Umgegend ein¬
geladen hatte. Er schien seine Rede gut im Kopfe zu
haben, denn er sprach eine Zeit lang ohne allen An¬
stoß und vollkommen geläufig. Mit einemmal aber
schien er wie von seinem guten Geist gänzlich verlassen,
der Faden seiner Gedanken war wie abgeschnitten und
er schien den Ueberblick des ferner zu Sagenden gänz¬
lich verloren zu haben. Dieß hätte jeden Andern in
große Verlegenheit gesetzt; ihn aber keineswegs. Er
blickte vielmehr, wenigstens zehn Minuten lang, fest
und ruhig in dem Kreise seiner zahlreichen Zuhörer
umher, die durch die Macht seiner Persönlichkeit wie
gebannt waren, so daß während der sehr langen, ja
fast lächerlichen Pause Jeder vollkommen ruhig blieb.
Endlich schien er wieder Herr seines Gegenstandes ge¬
worden zu seyn, er fuhr in seiner Rede fort und führte
sie sehr geschickt ohne Anstoß bis zu Ende, und zwar
so frei und heiter, als ob gar nichts passirt wäre.


Diesen Nachmittag ein halbes Stündchen bei Goethe,
den ich noch bei Tisch fand.

Jahren von Goethe's Hierſeyn erinnerte, erzählte uns
folgendes ſehr Charakteriſtiſche.

Ich war dabei, ſagte er, als Goethe im Jahre
1784 ſeine bekannte Rede bei der feierlichen Eröffnung
des Ilmenauer Bergwerks hielt, wozu er alle Beamten
und Intereſſenten aus der Stadt und Umgegend ein¬
geladen hatte. Er ſchien ſeine Rede gut im Kopfe zu
haben, denn er ſprach eine Zeit lang ohne allen An¬
ſtoß und vollkommen geläufig. Mit einemmal aber
ſchien er wie von ſeinem guten Geiſt gänzlich verlaſſen,
der Faden ſeiner Gedanken war wie abgeſchnitten und
er ſchien den Ueberblick des ferner zu Sagenden gänz¬
lich verloren zu haben. Dieß hätte jeden Andern in
große Verlegenheit geſetzt; ihn aber keineswegs. Er
blickte vielmehr, wenigſtens zehn Minuten lang, feſt
und ruhig in dem Kreiſe ſeiner zahlreichen Zuhörer
umher, die durch die Macht ſeiner Perſönlichkeit wie
gebannt waren, ſo daß während der ſehr langen, ja
faſt lächerlichen Pauſe Jeder vollkommen ruhig blieb.
Endlich ſchien er wieder Herr ſeines Gegenſtandes ge¬
worden zu ſeyn, er fuhr in ſeiner Rede fort und führte
ſie ſehr geſchickt ohne Anſtoß bis zu Ende, und zwar
ſo frei und heiter, als ob gar nichts paſſirt wäre.


Dieſen Nachmittag ein halbes Stündchen bei Goethe,
den ich noch bei Tiſch fand.

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[351/0373] Jahren von Goethe's Hierſeyn erinnerte, erzählte uns folgendes ſehr Charakteriſtiſche. Ich war dabei, ſagte er, als Goethe im Jahre 1784 ſeine bekannte Rede bei der feierlichen Eröffnung des Ilmenauer Bergwerks hielt, wozu er alle Beamten und Intereſſenten aus der Stadt und Umgegend ein¬ geladen hatte. Er ſchien ſeine Rede gut im Kopfe zu haben, denn er ſprach eine Zeit lang ohne allen An¬ ſtoß und vollkommen geläufig. Mit einemmal aber ſchien er wie von ſeinem guten Geiſt gänzlich verlaſſen, der Faden ſeiner Gedanken war wie abgeſchnitten und er ſchien den Ueberblick des ferner zu Sagenden gänz¬ lich verloren zu haben. Dieß hätte jeden Andern in große Verlegenheit geſetzt; ihn aber keineswegs. Er blickte vielmehr, wenigſtens zehn Minuten lang, feſt und ruhig in dem Kreiſe ſeiner zahlreichen Zuhörer umher, die durch die Macht ſeiner Perſönlichkeit wie gebannt waren, ſo daß während der ſehr langen, ja faſt lächerlichen Pauſe Jeder vollkommen ruhig blieb. Endlich ſchien er wieder Herr ſeines Gegenſtandes ge¬ worden zu ſeyn, er fuhr in ſeiner Rede fort und führte ſie ſehr geſchickt ohne Anſtoß bis zu Ende, und zwar ſo frei und heiter, als ob gar nichts paſſirt wäre. Sonntag, den 20. Juni 1831. Dieſen Nachmittag ein halbes Stündchen bei Goethe, den ich noch bei Tiſch fand.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/373>, abgerufen am 24.04.2024.