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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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[h]atten wir auf unserm Theater ein neues Stück zu
geben und ich benutzte den prächtigen rothen Stoff, um
damit meine Schauspieler herauszuputzen. Was aber
meinen Caplan betraf, so erhielt er weiter nichts; er
ward vergessen und er hat sehen müssen, wie er sich
selber half."


Goethe ist immer noch nicht besser. Die Frau
Großfürstin schickte ihm diesen Abend durch mich einige sehr
schöne Medaillen, deren Betrachtung ihm vielleicht einige
Zerstreuung und Aufheiterung gewähren möchte. Goethe
war über diese zarte Aufmerksamkeit seiner hohen Fürstin
sichtbar erfreut. Er klagte mir darauf, daß er den¬
selbigen Schmerz an der Seite des Herzens fühle, wie
er seiner schweren Krankheit vom vorigen Winter
vorangegangen. "Ich kann nicht arbeiten, sagte er;
ich kann nicht lesen, und selbst das Denken gelingt mir
nur in glücklichen Augenblicken der Erleichterung."


Humboldt ist hier. Ich war heute einen Augenblick
bei Goethe, wo es mir schien, als ob die Gegenwart
und die Unterhaltung Humboldt's einen günstigen Ein¬
fluß auf ihn gehabt habe. Sein Uebel scheint nicht
bloß physischer Art zu seyn. Es scheint vielmehr, daß
die leidenschaftliche Neigung, die er diesen Sommer in

[h]atten wir auf unſerm Theater ein neues Stück zu
geben und ich benutzte den prächtigen rothen Stoff, um
damit meine Schauſpieler herauszuputzen. Was aber
meinen Caplan betraf, ſo erhielt er weiter nichts; er
ward vergeſſen und er hat ſehen müſſen, wie er ſich
ſelber half.“


Goethe iſt immer noch nicht beſſer. Die Frau
Großfürſtin ſchickte ihm dieſen Abend durch mich einige ſehr
ſchöne Medaillen, deren Betrachtung ihm vielleicht einige
Zerſtreuung und Aufheiterung gewähren möchte. Goethe
war über dieſe zarte Aufmerkſamkeit ſeiner hohen Fürſtin
ſichtbar erfreut. Er klagte mir darauf, daß er den¬
ſelbigen Schmerz an der Seite des Herzens fühle, wie
er ſeiner ſchweren Krankheit vom vorigen Winter
vorangegangen. „Ich kann nicht arbeiten, ſagte er;
ich kann nicht leſen, und ſelbſt das Denken gelingt mir
nur in glücklichen Augenblicken der Erleichterung.“


Humboldt iſt hier. Ich war heute einen Augenblick
bei Goethe, wo es mir ſchien, als ob die Gegenwart
und die Unterhaltung Humboldt's einen günſtigen Ein¬
fluß auf ihn gehabt habe. Sein Uebel ſcheint nicht
bloß phyſiſcher Art zu ſeyn. Es ſcheint vielmehr, daß
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[22/0044] hatten wir auf unſerm Theater ein neues Stück zu geben und ich benutzte den prächtigen rothen Stoff, um damit meine Schauſpieler herauszuputzen. Was aber meinen Caplan betraf, ſo erhielt er weiter nichts; er ward vergeſſen und er hat ſehen müſſen, wie er ſich ſelber half.“ Sonntag, den 16. November 1823*. Goethe iſt immer noch nicht beſſer. Die Frau Großfürſtin ſchickte ihm dieſen Abend durch mich einige ſehr ſchöne Medaillen, deren Betrachtung ihm vielleicht einige Zerſtreuung und Aufheiterung gewähren möchte. Goethe war über dieſe zarte Aufmerkſamkeit ſeiner hohen Fürſtin ſichtbar erfreut. Er klagte mir darauf, daß er den¬ ſelbigen Schmerz an der Seite des Herzens fühle, wie er ſeiner ſchweren Krankheit vom vorigen Winter vorangegangen. „Ich kann nicht arbeiten, ſagte er; ich kann nicht leſen, und ſelbſt das Denken gelingt mir nur in glücklichen Augenblicken der Erleichterung.“ Montag, den 17. November 1823*. Humboldt iſt hier. Ich war heute einen Augenblick bei Goethe, wo es mir ſchien, als ob die Gegenwart und die Unterhaltung Humboldt's einen günſtigen Ein¬ fluß auf ihn gehabt habe. Sein Uebel ſcheint nicht bloß phyſiſcher Art zu ſeyn. Es ſcheint vielmehr, daß die leidenſchaftliche Neigung, die er dieſen Sommer in

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/44>, abgerufen am 25.04.2024.