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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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ist viel Mühe um nichts; aber ein solches Nichts ist
der Jugend oft unendlich viel. -- Und im Ganzen
genommen, was thut's! Man muß oft etwas Tolles
unternehmen, um nur wieder eine Zeit lang leben zu
können. In meiner Jugend habe ich es nicht besser
gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut
davon gekommen."


Abends mit Goethe allein, in allerlei Gesprächen.
Er sagte mir, daß er die Absicht habe, seine Reise in
die Schweiz vom Jahre 1797 in seine Werke aufzunehmen.
Sodann war die Rede vom Werther, den er nicht wieder
gelesen habe, als einmal, ungefähr zehn Jahre nach
seinem Erscheinen. Auch mit seinen anderen Schriften
habe er es so gemacht. Wir sprachen darauf von
Übersetzungen, wobei er mir sagte, daß es ihm sehr
schwer werde, englische Gedichte in deutschen Versen
wiederzugeben. "Wenn man die schlagenden einsilbigen
Worte der Engländer, sagte er, mit vielsilbigen oder
zusammengesetzten deutschen ausdrücken will, so ist gleich
alle Kraft und Wirkung verloren." Von seinem Rameau
sagte er, daß er die Uebersetzung in vier Wochen gemacht
und Alles dictirt habe.

Wir sprachen sodann über Naturwissenschaften, ins¬
besondere über die Kleingeisterei, womit diese und jene

iſt viel Mühe um nichts; aber ein ſolches Nichts iſt
der Jugend oft unendlich viel. — Und im Ganzen
genommen, was thut's! Man muß oft etwas Tolles
unternehmen, um nur wieder eine Zeit lang leben zu
können. In meiner Jugend habe ich es nicht beſſer
gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut
davon gekommen.“


Abends mit Goethe allein, in allerlei Geſprächen.
Er ſagte mir, daß er die Abſicht habe, ſeine Reiſe in
die Schweiz vom Jahre 1797 in ſeine Werke aufzunehmen.
Sodann war die Rede vom Werther, den er nicht wieder
geleſen habe, als einmal, ungefähr zehn Jahre nach
ſeinem Erſcheinen. Auch mit ſeinen anderen Schriften
habe er es ſo gemacht. Wir ſprachen darauf von
Überſetzungen, wobei er mir ſagte, daß es ihm ſehr
ſchwer werde, engliſche Gedichte in deutſchen Verſen
wiederzugeben. „Wenn man die ſchlagenden einſilbigen
Worte der Engländer, ſagte er, mit vielſilbigen oder
zuſammengeſetzten deutſchen ausdrücken will, ſo iſt gleich
alle Kraft und Wirkung verloren.“ Von ſeinem Rameau
ſagte er, daß er die Ueberſetzung in vier Wochen gemacht
und Alles dictirt habe.

Wir ſprachen ſodann über Naturwiſſenſchaften, ins¬
beſondere über die Kleingeiſterei, womit dieſe und jene

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[25/0047] iſt viel Mühe um nichts; aber ein ſolches Nichts iſt der Jugend oft unendlich viel. — Und im Ganzen genommen, was thut's! Man muß oft etwas Tolles unternehmen, um nur wieder eine Zeit lang leben zu können. In meiner Jugend habe ich es nicht beſſer gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut davon gekommen.“ Dienstag, den 30. December 1823.* Abends mit Goethe allein, in allerlei Geſprächen. Er ſagte mir, daß er die Abſicht habe, ſeine Reiſe in die Schweiz vom Jahre 1797 in ſeine Werke aufzunehmen. Sodann war die Rede vom Werther, den er nicht wieder geleſen habe, als einmal, ungefähr zehn Jahre nach ſeinem Erſcheinen. Auch mit ſeinen anderen Schriften habe er es ſo gemacht. Wir ſprachen darauf von Überſetzungen, wobei er mir ſagte, daß es ihm ſehr ſchwer werde, engliſche Gedichte in deutſchen Verſen wiederzugeben. „Wenn man die ſchlagenden einſilbigen Worte der Engländer, ſagte er, mit vielſilbigen oder zuſammengeſetzten deutſchen ausdrücken will, ſo iſt gleich alle Kraft und Wirkung verloren.“ Von ſeinem Rameau ſagte er, daß er die Ueberſetzung in vier Wochen gemacht und Alles dictirt habe. Wir ſprachen ſodann über Naturwiſſenſchaften, ins¬ beſondere über die Kleingeiſterei, womit dieſe und jene

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/47>, abgerufen am 25.04.2024.