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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenso sichtbar
mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬
wesen verunstalteten Lehre war es nicht weniger. Beide
genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des
Bestehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen,
daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müsse und
daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und
Mangelhaften so fortgehen und bleiben könne."


Die Papiere, welche die Studien enthalten, die
Goethe mit den Schauspielern Wolf und Grüner ge¬
macht, haben mich diese Tage lebhaft beschäftigt und
es ist mir gelungen, diese höchst zerstückelten Notizen
in eine Art Form zu bringen, so daß daraus etwas
entstanden ist, das wohl für den Anfang eines Catechis¬
mus für Schauspieler gelten könnte.

Ich sprach heute mit Goethe über diese Arbeit und
wir gingen die einzelnen Gegenstände durch. Besonders
wichtig wollte uns erscheinen, was über die Aussprache
und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.

"Ich habe in meiner langen Praxis, sagte Goethe,
Anfänger aus allen Gegenden Deutschlands kennen
gelernt. Die Aussprache der Norddeutschen ließ im
Ganzen wenig zu wünschen übrig. Sie ist rein und
kann in mancher Hinsicht als musterhaft gelten. Da¬
gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oestreichern

den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar
mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬
weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide
genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des
Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen,
daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und
daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und
Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.“


Die Papiere, welche die Studien enthalten, die
Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬
macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und
es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen
in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas
entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬
mus für Schauſpieler gelten könnte.

Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und
wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders
wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache
und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.

„Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe,
Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen
gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im
Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und
kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬
gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern

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[46/0068] den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬ weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen, daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.“ Mittwoch, den 5. Mai 1824. Die Papiere, welche die Studien enthalten, die Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬ macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬ mus für Schauſpieler gelten könnte. Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden. „Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬ gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/68>, abgerufen am 29.03.2024.