Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Besitzergreifung auf den Boden warfen. Bänke, Stühle
und Pulte verschwanden in einem Augenblick, und
meine Getreuen hielten sich so rasch und thätig dazu,
daß schon in wenigen Tagen sämmtliche Bücher in ihren
Reposituren in schönster Ordnung an den Wänden um¬
herstanden. Die Herren Mediciner, die bald darauf
durch ihre gewohnte Thür in corpore in den Saal tra¬
ten, waren ganz verblüfft, eine so große und unerwar¬
tete Verwandlung zu finden. Sie wußten nicht, was
sie sagen sollten, und zogen sich still wieder zurück;
aber sie bewahrten mir Alle einen heimlichen Groll.
Doch wenn ich sie einzeln sehe, und besonders wenn
ich Einen oder den Andern von ihnen bei mir zu Tisch
habe, so sind sie ganz scharmant und meine sehr lieben
Freunde. Als ich dem Großherzog den Verlauf dieses
Abenteuers erzählte, das freilich mit seinem Einver¬
ständniß und seiner völligen Zustimmung eingeleitet
war, amüsirte es ihn königlich, und wir haben später
recht oft darüber gelacht."

Goethe war in sehr guter Laune und glücklich in
diesen Erinnerungen. "Ja, mein Freund, fuhr er fort,
man hat seine Noth gehabt, um gute Dinge durchzu¬
setzen. Später, als ich wegen großer Feuchtigkeit der
Bibliothek einen schädlichen Theil der ganz nutzlosen
alten Stadtmauer wollte abreißen und hinwegräumen
lassen, ging es mir nicht besser. Meine Bitten, guten
Gründe und vernünftigen Vorstellungen fanden kein

Beſitzergreifung auf den Boden warfen. Bänke, Stühle
und Pulte verſchwanden in einem Augenblick, und
meine Getreuen hielten ſich ſo raſch und thätig dazu,
daß ſchon in wenigen Tagen ſämmtliche Bücher in ihren
Repoſituren in ſchönſter Ordnung an den Wänden um¬
herſtanden. Die Herren Mediciner, die bald darauf
durch ihre gewohnte Thür in corpore in den Saal tra¬
ten, waren ganz verblüfft, eine ſo große und unerwar¬
tete Verwandlung zu finden. Sie wußten nicht, was
ſie ſagen ſollten, und zogen ſich ſtill wieder zurück;
aber ſie bewahrten mir Alle einen heimlichen Groll.
Doch wenn ich ſie einzeln ſehe, und beſonders wenn
ich Einen oder den Andern von ihnen bei mir zu Tiſch
habe, ſo ſind ſie ganz ſcharmant und meine ſehr lieben
Freunde. Als ich dem Großherzog den Verlauf dieſes
Abenteuers erzählte, das freilich mit ſeinem Einver¬
ſtändniß und ſeiner völligen Zuſtimmung eingeleitet
war, amüſirte es ihn königlich, und wir haben ſpäter
recht oft darüber gelacht.“

Goethe war in ſehr guter Laune und glücklich in
dieſen Erinnerungen. „Ja, mein Freund, fuhr er fort,
man hat ſeine Noth gehabt, um gute Dinge durchzu¬
ſetzen. Später, als ich wegen großer Feuchtigkeit der
Bibliothek einen ſchädlichen Theil der ganz nutzloſen
alten Stadtmauer wollte abreißen und hinwegräumen
laſſen, ging es mir nicht beſſer. Meine Bitten, guten
Gründe und vernünftigen Vorſtellungen fanden kein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0341" n="319"/>
Be&#x017F;itzergreifung auf den Boden warfen. Bänke, Stühle<lb/>
und Pulte ver&#x017F;chwanden in einem Augenblick, und<lb/>
meine Getreuen hielten &#x017F;ich &#x017F;o ra&#x017F;ch und thätig dazu,<lb/>
daß &#x017F;chon in wenigen Tagen &#x017F;ämmtliche Bücher in ihren<lb/>
Repo&#x017F;ituren in &#x017F;chön&#x017F;ter Ordnung an den Wänden um¬<lb/>
her&#x017F;tanden. Die Herren Mediciner, die bald darauf<lb/>
durch ihre gewohnte Thür <hi rendition="#aq">in corpore</hi> in den Saal tra¬<lb/>
ten, waren ganz verblüfft, eine &#x017F;o große und unerwar¬<lb/>
tete Verwandlung zu finden. Sie wußten nicht, was<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;agen &#x017F;ollten, und zogen &#x017F;ich &#x017F;till wieder zurück;<lb/>
aber &#x017F;ie bewahrten mir Alle einen heimlichen Groll.<lb/>
Doch wenn ich &#x017F;ie einzeln &#x017F;ehe, und be&#x017F;onders wenn<lb/>
ich Einen oder den Andern von ihnen bei mir zu Ti&#x017F;ch<lb/>
habe, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie ganz &#x017F;charmant und meine &#x017F;ehr lieben<lb/>
Freunde. Als ich dem Großherzog den Verlauf die&#x017F;es<lb/>
Abenteuers erzählte, das freilich mit &#x017F;einem Einver¬<lb/>
&#x017F;tändniß und &#x017F;einer völligen Zu&#x017F;timmung eingeleitet<lb/>
war, amü&#x017F;irte es ihn königlich, und wir haben &#x017F;päter<lb/>
recht oft darüber gelacht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Goethe war in &#x017F;ehr guter Laune und glücklich in<lb/>
die&#x017F;en Erinnerungen. &#x201E;Ja, mein Freund, fuhr er fort,<lb/>
man hat &#x017F;eine Noth gehabt, um gute Dinge durchzu¬<lb/>
&#x017F;etzen. Später, als ich wegen großer Feuchtigkeit der<lb/>
Bibliothek einen &#x017F;chädlichen Theil der ganz nutzlo&#x017F;en<lb/>
alten Stadtmauer wollte abreißen und hinwegräumen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ging es mir nicht be&#x017F;&#x017F;er. Meine Bitten, guten<lb/>
Gründe und vernünftigen Vor&#x017F;tellungen fanden kein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0341] Beſitzergreifung auf den Boden warfen. Bänke, Stühle und Pulte verſchwanden in einem Augenblick, und meine Getreuen hielten ſich ſo raſch und thätig dazu, daß ſchon in wenigen Tagen ſämmtliche Bücher in ihren Repoſituren in ſchönſter Ordnung an den Wänden um¬ herſtanden. Die Herren Mediciner, die bald darauf durch ihre gewohnte Thür in corpore in den Saal tra¬ ten, waren ganz verblüfft, eine ſo große und unerwar¬ tete Verwandlung zu finden. Sie wußten nicht, was ſie ſagen ſollten, und zogen ſich ſtill wieder zurück; aber ſie bewahrten mir Alle einen heimlichen Groll. Doch wenn ich ſie einzeln ſehe, und beſonders wenn ich Einen oder den Andern von ihnen bei mir zu Tiſch habe, ſo ſind ſie ganz ſcharmant und meine ſehr lieben Freunde. Als ich dem Großherzog den Verlauf dieſes Abenteuers erzählte, das freilich mit ſeinem Einver¬ ſtändniß und ſeiner völligen Zuſtimmung eingeleitet war, amüſirte es ihn königlich, und wir haben ſpäter recht oft darüber gelacht.“ Goethe war in ſehr guter Laune und glücklich in dieſen Erinnerungen. „Ja, mein Freund, fuhr er fort, man hat ſeine Noth gehabt, um gute Dinge durchzu¬ ſetzen. Später, als ich wegen großer Feuchtigkeit der Bibliothek einen ſchädlichen Theil der ganz nutzloſen alten Stadtmauer wollte abreißen und hinwegräumen laſſen, ging es mir nicht beſſer. Meine Bitten, guten Gründe und vernünftigen Vorſtellungen fanden kein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/341
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/341>, abgerufen am 24.04.2024.