Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

lich zu seyn. Daß tägliche Leben ist, wie gesagt, lehr¬
reicher, als das wirksamste Buch."

Aber doch, bemerkte ich, sucht man sich bei Kindern
in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht
Dinge spricht, welche zu hören wir für sie nicht gut
halten.

"Das ist recht löblich, erwiederte Goethe, und ich
thue es selbst nicht anders; allein ich halte diese Vor¬
sicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die
Hunde, einen so scharfen und feinen Geruch, daß sie
Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme
vor allem Anderen. Sie wissen auch immer ganz ge¬
nau, wie dieser oder jener Hausfreund zu ihren Eltern
steht, und da sie nun in der Regel noch keine Verstel¬
lung üben, so können sie uns als die trefflichsten Ba¬
rometer dienen, um an ihnen den Grad unserer Gunst
oder Ungunst bei den Ihrigen wahrzunehmen."

"Man hatte einst in der Gesellschaft schlecht von
mir gesprochen, und zwar erschien die Sache für mich
von solcher Bedeutung, daß mir sehr viel daran liegen
mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬
gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen
mich gesinnt; ich dachte hin und her und konnte gar
nicht herausbringen, von wem jenes gehässige Gerede
könne ausgegangen seyn. Mit einemmale bekomme ich
Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der
Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntschaft, die

lich zu ſeyn. Daß tägliche Leben iſt, wie geſagt, lehr¬
reicher, als das wirkſamſte Buch.“

Aber doch, bemerkte ich, ſucht man ſich bei Kindern
in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht
Dinge ſpricht, welche zu hören wir für ſie nicht gut
halten.

„Das iſt recht löblich, erwiederte Goethe, und ich
thue es ſelbſt nicht anders; allein ich halte dieſe Vor¬
ſicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die
Hunde, einen ſo ſcharfen und feinen Geruch, daß ſie
Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme
vor allem Anderen. Sie wiſſen auch immer ganz ge¬
nau, wie dieſer oder jener Hausfreund zu ihren Eltern
ſteht, und da ſie nun in der Regel noch keine Verſtel¬
lung üben, ſo können ſie uns als die trefflichſten Ba¬
rometer dienen, um an ihnen den Grad unſerer Gunſt
oder Ungunſt bei den Ihrigen wahrzunehmen.“

„Man hatte einſt in der Geſellſchaft ſchlecht von
mir geſprochen, und zwar erſchien die Sache für mich
von ſolcher Bedeutung, daß mir ſehr viel daran liegen
mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬
gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen
mich geſinnt; ich dachte hin und her und konnte gar
nicht herausbringen, von wem jenes gehäſſige Gerede
könne ausgegangen ſeyn. Mit einemmale bekomme ich
Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der
Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntſchaft, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0352" n="330"/>
lich zu &#x017F;eyn. Daß tägliche Leben i&#x017F;t, wie ge&#x017F;agt, lehr¬<lb/>
reicher, als das wirk&#x017F;am&#x017F;te Buch.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Aber doch, bemerkte ich, &#x017F;ucht man &#x017F;ich bei Kindern<lb/>
in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht<lb/>
Dinge &#x017F;pricht, welche zu hören wir für &#x017F;ie nicht gut<lb/>
halten.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das i&#x017F;t recht löblich, erwiederte Goethe, und ich<lb/>
thue es &#x017F;elb&#x017F;t nicht anders; allein ich halte die&#x017F;e Vor¬<lb/>
&#x017F;icht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die<lb/>
Hunde, einen &#x017F;o &#x017F;charfen und feinen Geruch, daß &#x017F;ie<lb/>
Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme<lb/>
vor allem Anderen. Sie wi&#x017F;&#x017F;en auch immer ganz ge¬<lb/>
nau, wie die&#x017F;er oder jener Hausfreund zu ihren Eltern<lb/>
&#x017F;teht, und da &#x017F;ie nun in der Regel noch keine Ver&#x017F;tel¬<lb/>
lung üben, &#x017F;o können &#x017F;ie uns als die trefflich&#x017F;ten Ba¬<lb/>
rometer dienen, um an ihnen den Grad un&#x017F;erer Gun&#x017F;t<lb/>
oder Ungun&#x017F;t bei den Ihrigen wahrzunehmen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Man hatte ein&#x017F;t in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;chlecht von<lb/>
mir ge&#x017F;prochen, und zwar er&#x017F;chien die Sache für mich<lb/>
von &#x017F;olcher Bedeutung, daß mir &#x017F;ehr viel daran liegen<lb/>
mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬<lb/>
gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen<lb/>
mich ge&#x017F;innt; ich dachte hin und her und konnte gar<lb/>
nicht herausbringen, von wem jenes gehä&#x017F;&#x017F;ige Gerede<lb/>
könne ausgegangen &#x017F;eyn. Mit einemmale bekomme ich<lb/>
Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der<lb/>
Straße einige kleine Knaben meiner Bekannt&#x017F;chaft, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0352] lich zu ſeyn. Daß tägliche Leben iſt, wie geſagt, lehr¬ reicher, als das wirkſamſte Buch.“ Aber doch, bemerkte ich, ſucht man ſich bei Kindern in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht Dinge ſpricht, welche zu hören wir für ſie nicht gut halten. „Das iſt recht löblich, erwiederte Goethe, und ich thue es ſelbſt nicht anders; allein ich halte dieſe Vor¬ ſicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die Hunde, einen ſo ſcharfen und feinen Geruch, daß ſie Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme vor allem Anderen. Sie wiſſen auch immer ganz ge¬ nau, wie dieſer oder jener Hausfreund zu ihren Eltern ſteht, und da ſie nun in der Regel noch keine Verſtel¬ lung üben, ſo können ſie uns als die trefflichſten Ba¬ rometer dienen, um an ihnen den Grad unſerer Gunſt oder Ungunſt bei den Ihrigen wahrzunehmen.“ „Man hatte einſt in der Geſellſchaft ſchlecht von mir geſprochen, und zwar erſchien die Sache für mich von ſolcher Bedeutung, daß mir ſehr viel daran liegen mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬ gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen mich geſinnt; ich dachte hin und her und konnte gar nicht herausbringen, von wem jenes gehäſſige Gerede könne ausgegangen ſeyn. Mit einemmale bekomme ich Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntſchaft, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/352
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/352>, abgerufen am 20.04.2024.