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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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mich nicht grüßten, wie sie sonst zu thun pflegten.
Dieß war mir genug, und ich entdeckte auf dieser
Fährte sehr bald, daß es ihre lieben Eltern waren, die
ihre Zungen auf meine Kosten auf eine so arge Weise
in Bewegung gesetzt hatten."


Abends einige Augenblicke bei Goethe. Er schien
sehr ruhig und heiter und in der mildesten Stimmung.
Ich fand ihn umgeben von seinem Enkel Wolf und
Gräfin Caroline Egloffstein, seiner intimen Freundin.
Wolf machte seinem lieben Großvater viel zu schaffen.
Er kletterte auf ihm herum und saß bald auf der einen
Schulter und bald auf der andern. Goethe erduldete
Alles mit der größten Zärtlichkeit, so unbequem das
Gewicht des zehnjährigen Knaben seinem Alter auch
seyn mochte. "Aber, lieber Wolf, sagte die Gräfin,
plage doch Deinen guten Großvater nicht so entsetzlich!
er muß ja von Deiner Last ganz ermüdet werden."
Das hat gar nichts zu sagen, erwiederte Wolf; wir
gehen bald zu Bette, und da wird der Großvater Zeit
haben, sich von dieser Fatigue ganz vollkommen wieder
auszuruhen. "Sie sehen, nahm Goethe das Wort, daß
die Liebe immer ein wenig impertinenter Natur ist."

Das Gespräch wendete sich auf Campe und dessen
Kinderschriften. "Ich bin mit Campe, sagte Goethe,
nur zweimal in meinem Leben zusammengetroffen. Nach

mich nicht grüßten, wie ſie ſonſt zu thun pflegten.
Dieß war mir genug, und ich entdeckte auf dieſer
Fährte ſehr bald, daß es ihre lieben Eltern waren, die
ihre Zungen auf meine Koſten auf eine ſo arge Weiſe
in Bewegung geſetzt hatten.“


Abends einige Augenblicke bei Goethe. Er ſchien
ſehr ruhig und heiter und in der mildeſten Stimmung.
Ich fand ihn umgeben von ſeinem Enkel Wolf und
Gräfin Caroline Egloffſtein, ſeiner intimen Freundin.
Wolf machte ſeinem lieben Großvater viel zu ſchaffen.
Er kletterte auf ihm herum und ſaß bald auf der einen
Schulter und bald auf der andern. Goethe erduldete
Alles mit der größten Zärtlichkeit, ſo unbequem das
Gewicht des zehnjährigen Knaben ſeinem Alter auch
ſeyn mochte. „Aber, lieber Wolf, ſagte die Gräfin,
plage doch Deinen guten Großvater nicht ſo entſetzlich!
er muß ja von Deiner Laſt ganz ermüdet werden.“
Das hat gar nichts zu ſagen, erwiederte Wolf; wir
gehen bald zu Bette, und da wird der Großvater Zeit
haben, ſich von dieſer Fatigue ganz vollkommen wieder
auszuruhen. „Sie ſehen, nahm Goethe das Wort, daß
die Liebe immer ein wenig impertinenter Natur iſt.“

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Kinderſchriften. „Ich bin mit Campe, ſagte Goethe,
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[331/0353] mich nicht grüßten, wie ſie ſonſt zu thun pflegten. Dieß war mir genug, und ich entdeckte auf dieſer Fährte ſehr bald, daß es ihre lieben Eltern waren, die ihre Zungen auf meine Koſten auf eine ſo arge Weiſe in Bewegung geſetzt hatten.“ Montag, den 29. März 1830*. Abends einige Augenblicke bei Goethe. Er ſchien ſehr ruhig und heiter und in der mildeſten Stimmung. Ich fand ihn umgeben von ſeinem Enkel Wolf und Gräfin Caroline Egloffſtein, ſeiner intimen Freundin. Wolf machte ſeinem lieben Großvater viel zu ſchaffen. Er kletterte auf ihm herum und ſaß bald auf der einen Schulter und bald auf der andern. Goethe erduldete Alles mit der größten Zärtlichkeit, ſo unbequem das Gewicht des zehnjährigen Knaben ſeinem Alter auch ſeyn mochte. „Aber, lieber Wolf, ſagte die Gräfin, plage doch Deinen guten Großvater nicht ſo entſetzlich! er muß ja von Deiner Laſt ganz ermüdet werden.“ Das hat gar nichts zu ſagen, erwiederte Wolf; wir gehen bald zu Bette, und da wird der Großvater Zeit haben, ſich von dieſer Fatigue ganz vollkommen wieder auszuruhen. „Sie ſehen, nahm Goethe das Wort, daß die Liebe immer ein wenig impertinenter Natur iſt.“ Das Geſpräch wendete ſich auf Campe und deſſen Kinderſchriften. „Ich bin mit Campe, ſagte Goethe, nur zweimal in meinem Leben zuſammengetroffen. Nach

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/353>, abgerufen am 25.04.2024.