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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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einem Zwischenraum von vierzig Jahren sah ich ihn
zuletzt in Carlsbad. Ich fand ihn damals sehr alt,
dürr, steif und abgemessen. Er hatte sein ganzes Le¬
benlang nur für Kinder geschrieben; ich dagegen gar
nichts für Kinder, ja nicht einmal für große Kinder
von zwanzig Jahren. Auch konnte er mich nicht aus¬
stehen. Ich war ihm ein Dorn im Auge, ein Stein
des Anstoßes, und er that Alles, um mich zu vermei¬
den. Doch führte das Geschick mich eines Tages ganz
unerwartet an seine Seite, so daß er nicht umhin
konnte, einige Worte an mich zu wenden. "Ich habe,
sagte er, vor den Fähigkeiten Ihres Geistes allen Re¬
spect! Sie haben in verschiedenen Fächern eine erstaun¬
liche Höhe erreicht. Aber, sehen Sie! das sind Alles
Dinge, die mich nichts angehen und auf die ich gar
nicht den Werth legen kann, den andere Leute darauf
legen." -- Diese etwas ungalante Freimüthigkeit ver¬
droß mich keineswegs und ich sagte ihm dagegen aller¬
lei Verbindliches. Auch halte ich in der That ein
großes Stück auf Campe. Er hat den Kindern un¬
glaubliche Dienste geleistet; er ist ihr Entzücken und so
zu sagen ihr Evangelium. -- Bloß wegen zwei oder
drei ganz schrecklicher Geschichten, die er nicht bloß die
Ungeschicklichkeit gehabt hat zu schreiben, sondern auch
in seine Sammlung für Kinder mit aufzunehmen, möchte
ich ihn ein wenig gezüchtigt sehen. Warum soll man
die heitere, frische, unschuldige Phantasie der Kinder so

einem Zwiſchenraum von vierzig Jahren ſah ich ihn
zuletzt in Carlsbad. Ich fand ihn damals ſehr alt,
dürr, ſteif und abgemeſſen. Er hatte ſein ganzes Le¬
benlang nur für Kinder geſchrieben; ich dagegen gar
nichts für Kinder, ja nicht einmal für große Kinder
von zwanzig Jahren. Auch konnte er mich nicht aus¬
ſtehen. Ich war ihm ein Dorn im Auge, ein Stein
des Anſtoßes, und er that Alles, um mich zu vermei¬
den. Doch führte das Geſchick mich eines Tages ganz
unerwartet an ſeine Seite, ſo daß er nicht umhin
konnte, einige Worte an mich zu wenden. „Ich habe,
ſagte er, vor den Fähigkeiten Ihres Geiſtes allen Re¬
ſpect! Sie haben in verſchiedenen Fächern eine erſtaun¬
liche Höhe erreicht. Aber, ſehen Sie! das ſind Alles
Dinge, die mich nichts angehen und auf die ich gar
nicht den Werth legen kann, den andere Leute darauf
legen.“ — Dieſe etwas ungalante Freimüthigkeit ver¬
droß mich keineswegs und ich ſagte ihm dagegen aller¬
lei Verbindliches. Auch halte ich in der That ein
großes Stück auf Campe. Er hat den Kindern un¬
glaubliche Dienſte geleiſtet; er iſt ihr Entzücken und ſo
zu ſagen ihr Evangelium. — Bloß wegen zwei oder
drei ganz ſchrecklicher Geſchichten, die er nicht bloß die
Ungeſchicklichkeit gehabt hat zu ſchreiben, ſondern auch
in ſeine Sammlung für Kinder mit aufzunehmen, möchte
ich ihn ein wenig gezüchtigt ſehen. Warum ſoll man
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[332/0354] einem Zwiſchenraum von vierzig Jahren ſah ich ihn zuletzt in Carlsbad. Ich fand ihn damals ſehr alt, dürr, ſteif und abgemeſſen. Er hatte ſein ganzes Le¬ benlang nur für Kinder geſchrieben; ich dagegen gar nichts für Kinder, ja nicht einmal für große Kinder von zwanzig Jahren. Auch konnte er mich nicht aus¬ ſtehen. Ich war ihm ein Dorn im Auge, ein Stein des Anſtoßes, und er that Alles, um mich zu vermei¬ den. Doch führte das Geſchick mich eines Tages ganz unerwartet an ſeine Seite, ſo daß er nicht umhin konnte, einige Worte an mich zu wenden. „Ich habe, ſagte er, vor den Fähigkeiten Ihres Geiſtes allen Re¬ ſpect! Sie haben in verſchiedenen Fächern eine erſtaun¬ liche Höhe erreicht. Aber, ſehen Sie! das ſind Alles Dinge, die mich nichts angehen und auf die ich gar nicht den Werth legen kann, den andere Leute darauf legen.“ — Dieſe etwas ungalante Freimüthigkeit ver¬ droß mich keineswegs und ich ſagte ihm dagegen aller¬ lei Verbindliches. Auch halte ich in der That ein großes Stück auf Campe. Er hat den Kindern un¬ glaubliche Dienſte geleiſtet; er iſt ihr Entzücken und ſo zu ſagen ihr Evangelium. — Bloß wegen zwei oder drei ganz ſchrecklicher Geſchichten, die er nicht bloß die Ungeſchicklichkeit gehabt hat zu ſchreiben, ſondern auch in ſeine Sammlung für Kinder mit aufzunehmen, möchte ich ihn ein wenig gezüchtigt ſehen. Warum ſoll man die heitere, friſche, unſchuldige Phantaſie der Kinder ſo

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/354>, abgerufen am 29.03.2024.