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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Eine furchtbare Geschichte! erwiederte ich. Aber
was ließ sich bei den bekannten Zuständen und bei
einem solchen Ministerium Anderes erwarten, als daß
man mit der Vertreibung der bisherigen Königlichen
Familie endigen würde.

"Wir scheinen uns nicht zu verstehen, mein Aller¬
bester, erwiederte Goethe. Ich rede gar nicht von je¬
nen Leuten; es handelt sich bei mir um ganz andere
Dinge! Ich rede von dem in der Academie zum
öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wissenschaft
so höchst bedeutenden Streit zwischen Cüvier und
Geoffroy de Saint-Hilaire!"

Diese Aeußerung Goethe's war mir so unerwartet,
daß ich nicht wußte was ich sagen sollte, und daß ich
während einiger Minuten einen völligen Stillstand in
meinen Gedanken verspürte.

"Die Sache ist von der höchsten Bedeutung, fuhr
Goethe fort, und Sie können sich keinen Begriff machen,
was ich bei der Nachricht von der Sitzung des 19.
Juli empfinde. Wir haben jetzt an Geoffroy de Saint-
Hilaire einen mächtigen Alliirten auf die Dauer. Ich
sehe aber zugleich daraus, wie groß die Theilnahme
der französischen wissenschaftlichen Welt an dieser Ange¬
legenheit seyn muß, indem, trotz der furchtbaren poli¬
tischen Aufregung, die Sitzung des 19. Juli dennoch
bei einem gefüllten Hause stattfand. Das Beste
aber ist, daß die von Geoffroy in Frankreich einge¬

Eine furchtbare Geſchichte! erwiederte ich. Aber
was ließ ſich bei den bekannten Zuſtänden und bei
einem ſolchen Miniſterium Anderes erwarten, als daß
man mit der Vertreibung der bisherigen Königlichen
Familie endigen würde.

„Wir ſcheinen uns nicht zu verſtehen, mein Aller¬
beſter, erwiederte Goethe. Ich rede gar nicht von je¬
nen Leuten; es handelt ſich bei mir um ganz andere
Dinge! Ich rede von dem in der Academie zum
öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wiſſenſchaft
ſo höchſt bedeutenden Streit zwiſchen Cüvier und
Geoffroy de Saint-Hilaire!“

Dieſe Aeußerung Goethe's war mir ſo unerwartet,
daß ich nicht wußte was ich ſagen ſollte, und daß ich
während einiger Minuten einen völligen Stillſtand in
meinen Gedanken verſpürte.

„Die Sache iſt von der höchſten Bedeutung, fuhr
Goethe fort, und Sie können ſich keinen Begriff machen,
was ich bei der Nachricht von der Sitzung des 19.
Juli empfinde. Wir haben jetzt an Geoffroy de Saint-
Hilaire einen mächtigen Alliirten auf die Dauer. Ich
ſehe aber zugleich daraus, wie groß die Theilnahme
der franzöſiſchen wiſſenſchaftlichen Welt an dieſer Ange¬
legenheit ſeyn muß, indem, trotz der furchtbaren poli¬
tiſchen Aufregung, die Sitzung des 19. Juli dennoch
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[340/0362] Eine furchtbare Geſchichte! erwiederte ich. Aber was ließ ſich bei den bekannten Zuſtänden und bei einem ſolchen Miniſterium Anderes erwarten, als daß man mit der Vertreibung der bisherigen Königlichen Familie endigen würde. „Wir ſcheinen uns nicht zu verſtehen, mein Aller¬ beſter, erwiederte Goethe. Ich rede gar nicht von je¬ nen Leuten; es handelt ſich bei mir um ganz andere Dinge! Ich rede von dem in der Academie zum öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wiſſenſchaft ſo höchſt bedeutenden Streit zwiſchen Cüvier und Geoffroy de Saint-Hilaire!“ Dieſe Aeußerung Goethe's war mir ſo unerwartet, daß ich nicht wußte was ich ſagen ſollte, und daß ich während einiger Minuten einen völligen Stillſtand in meinen Gedanken verſpürte. „Die Sache iſt von der höchſten Bedeutung, fuhr Goethe fort, und Sie können ſich keinen Begriff machen, was ich bei der Nachricht von der Sitzung des 19. Juli empfinde. Wir haben jetzt an Geoffroy de Saint- Hilaire einen mächtigen Alliirten auf die Dauer. Ich ſehe aber zugleich daraus, wie groß die Theilnahme der franzöſiſchen wiſſenſchaftlichen Welt an dieſer Ange¬ legenheit ſeyn muß, indem, trotz der furchtbaren poli¬ tiſchen Aufregung, die Sitzung des 19. Juli dennoch bei einem gefüllten Hauſe ſtattfand. Das Beſte aber iſt, daß die von Geoffroy in Frankreich einge¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/362>, abgerufen am 29.03.2024.