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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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und wiederholt betrachtet, sagte er, als ich ihn heute
gegen Abend besuchte. Anfangs hatte es etwas Zurück¬
stoßendes für mich, welches ich jedoch der Behandlung
des Künstlers zuschreiben möchte, der die Züge etwas
zu hart und tief eingegraben. Aber je länger ich den
im hohen Grade merkwürdigen Kopf ansah, destomehr
verschwanden alle Härten und es trat aus dem dunke¬
len Grunde ein schöner Ausdruck von Ruhe, Güte und
geistreich-feiner Milde hervor, wie sie den klugen, wohl¬
wollenden und für das allgemeine Beste thätigen Mann
charakterisiren und der Seele des Beschauers so wohl
thun."

Wir sprachen darauf weiter über Dümont, beson¬
ders aber über die Memoiren, die er in Bezug auf
Mirabeau geschrieben, und worin er die mannigfalti¬
gen Hülfsquellen aufdeckt, die Mirabeau zu benutzen
verstanden, auch die vielen Leute von Talent namhaft
macht, die er zu seinen Zwecken in Bewegung gesetzt
und mit deren Kräften er gearbeitet. "Ich kenne kein
lehrreicheres Buch, sagte Goethe, als diese Memoiren,
wodurch wir in die geheimsten Winkel jener Zeit tiefe
Blicke thun, und wodurch uns das Wunder Mirabeau
natürlich wird, ohne daß dieser Held dadurch irgend
etwas von seiner Größe verliert. Nun kommen aber
die neuesten Recensenten der französischen Journale,
die über diesen Punkt ein wenig anders denken. Die
guten Leute glauben, der Verfasser jener Memoiren

und wiederholt betrachtet, ſagte er, als ich ihn heute
gegen Abend beſuchte. Anfangs hatte es etwas Zurück¬
ſtoßendes für mich, welches ich jedoch der Behandlung
des Künſtlers zuſchreiben möchte, der die Züge etwas
zu hart und tief eingegraben. Aber je länger ich den
im hohen Grade merkwürdigen Kopf anſah, deſtomehr
verſchwanden alle Härten und es trat aus dem dunke¬
len Grunde ein ſchöner Ausdruck von Ruhe, Güte und
geiſtreich-feiner Milde hervor, wie ſie den klugen, wohl¬
wollenden und für das allgemeine Beſte thätigen Mann
charakteriſiren und der Seele des Beſchauers ſo wohl
thun.“

Wir ſprachen darauf weiter über Dümont, beſon¬
ders aber über die Memoiren, die er in Bezug auf
Mirabeau geſchrieben, und worin er die mannigfalti¬
gen Hülfsquellen aufdeckt, die Mirabeau zu benutzen
verſtanden, auch die vielen Leute von Talent namhaft
macht, die er zu ſeinen Zwecken in Bewegung geſetzt
und mit deren Kräften er gearbeitet. „Ich kenne kein
lehrreicheres Buch, ſagte Goethe, als dieſe Memoiren,
wodurch wir in die geheimſten Winkel jener Zeit tiefe
Blicke thun, und wodurch uns das Wunder Mirabeau
natürlich wird, ohne daß dieſer Held dadurch irgend
etwas von ſeiner Größe verliert. Nun kommen aber
die neueſten Recenſenten der franzöſiſchen Journale,
die über dieſen Punkt ein wenig anders denken. Die
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[365/0387] und wiederholt betrachtet, ſagte er, als ich ihn heute gegen Abend beſuchte. Anfangs hatte es etwas Zurück¬ ſtoßendes für mich, welches ich jedoch der Behandlung des Künſtlers zuſchreiben möchte, der die Züge etwas zu hart und tief eingegraben. Aber je länger ich den im hohen Grade merkwürdigen Kopf anſah, deſtomehr verſchwanden alle Härten und es trat aus dem dunke¬ len Grunde ein ſchöner Ausdruck von Ruhe, Güte und geiſtreich-feiner Milde hervor, wie ſie den klugen, wohl¬ wollenden und für das allgemeine Beſte thätigen Mann charakteriſiren und der Seele des Beſchauers ſo wohl thun.“ Wir ſprachen darauf weiter über Dümont, beſon¬ ders aber über die Memoiren, die er in Bezug auf Mirabeau geſchrieben, und worin er die mannigfalti¬ gen Hülfsquellen aufdeckt, die Mirabeau zu benutzen verſtanden, auch die vielen Leute von Talent namhaft macht, die er zu ſeinen Zwecken in Bewegung geſetzt und mit deren Kräften er gearbeitet. „Ich kenne kein lehrreicheres Buch, ſagte Goethe, als dieſe Memoiren, wodurch wir in die geheimſten Winkel jener Zeit tiefe Blicke thun, und wodurch uns das Wunder Mirabeau natürlich wird, ohne daß dieſer Held dadurch irgend etwas von ſeiner Größe verliert. Nun kommen aber die neueſten Recenſenten der franzöſiſchen Journale, die über dieſen Punkt ein wenig anders denken. Die guten Leute glauben, der Verfaſſer jener Memoiren

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/387>, abgerufen am 25.04.2024.