Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

plötzlich seltsam ihre Miene. Keine Glockenklänge
wehen mehr fromm über die Felder, die Wolken zu
zertheilen, der Glaube ist todt, die Welt liegt
stumm und viel Theures wird untergehen, eh' die
Brust wieder frey aufathmet.

Friedrich fühlte diesen gewitternden Druck der
Luft und waffnete sich nur desto frömmer mit jenem
Ernst und Muthe, den ein großer Zweck der Seele
giebt. Er warf sich mit doppeltem Eifer wieder auf
seine Studien, sein ganzes Sinnen und Trachten
war endlich auf sein Vaterland gerichtet. Dieß
mochte ihn abhalten, Erwin damals genauer zu be¬
obachten, der seit jenem Abend stiller als je gewor¬
den und sich an einem wunderbaren Triebe nach
freyer Luft und Freyheit langsam zu verzehren
schien. Rosa'n mochte er seitdem nicht wieder besu¬
chen. Romana hatte sich seit einiger Zeit seltsam
von allen grösseren Gesellschaften entfernt. -- Wir
aber stürzen uns lieber in die Wirbel der Geschich¬
te, denn es wird der Seele wohler und weiter im
Sturm und Blitzen, als in dieser feindlichlauern¬
den Stille.

Es war ein Feyertag im März, da ritt Frie¬
drich mit dem Prinzen auf einem der besuchtesten
Spaziergänge. Nach allen Richtungen hin zogen
unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Thoren
aus und zerstreuten sich lustig in die neue, warme,
schallende Welt. Schaukeln und Ringelspiele dreh¬
ten sich auf den offenen Rasenplätzen, Musiken
klangen von allen Seiten ineinander, eine unüber¬

plötzlich ſeltſam ihre Miene. Keine Glockenklänge
wehen mehr fromm über die Felder, die Wolken zu
zertheilen, der Glaube iſt todt, die Welt liegt
ſtumm und viel Theures wird untergehen, eh' die
Bruſt wieder frey aufathmet.

Friedrich fühlte dieſen gewitternden Druck der
Luft und waffnete ſich nur deſto frömmer mit jenem
Ernſt und Muthe, den ein großer Zweck der Seele
giebt. Er warf ſich mit doppeltem Eifer wieder auf
ſeine Studien, ſein ganzes Sinnen und Trachten
war endlich auf ſein Vaterland gerichtet. Dieß
mochte ihn abhalten, Erwin damals genauer zu be¬
obachten, der ſeit jenem Abend ſtiller als je gewor¬
den und ſich an einem wunderbaren Triebe nach
freyer Luft und Freyheit langſam zu verzehren
ſchien. Roſa'n mochte er ſeitdem nicht wieder beſu¬
chen. Romana hatte ſich ſeit einiger Zeit ſeltſam
von allen gröſſeren Geſellſchaften entfernt. — Wir
aber ſtürzen uns lieber in die Wirbel der Geſchich¬
te, denn es wird der Seele wohler und weiter im
Sturm und Blitzen, als in dieſer feindlichlauern¬
den Stille.

Es war ein Feyertag im März, da ritt Frie¬
drich mit dem Prinzen auf einem der beſuchteſten
Spaziergänge. Nach allen Richtungen hin zogen
unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Thoren
aus und zerſtreuten ſich luſtig in die neue, warme,
ſchallende Welt. Schaukeln und Ringelſpiele dreh¬
ten ſich auf den offenen Raſenplätzen, Muſiken
klangen von allen Seiten ineinander, eine unüber¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0277" n="271"/>
plötzlich &#x017F;elt&#x017F;am ihre Miene. Keine Glockenklänge<lb/>
wehen mehr fromm über die Felder, die Wolken zu<lb/>
zertheilen, der Glaube i&#x017F;t todt, die Welt liegt<lb/>
&#x017F;tumm und viel Theures wird untergehen, eh' die<lb/>
Bru&#x017F;t wieder frey aufathmet.</p><lb/>
          <p>Friedrich fühlte die&#x017F;en gewitternden Druck der<lb/>
Luft und waffnete &#x017F;ich nur de&#x017F;to frömmer mit jenem<lb/>
Ern&#x017F;t und Muthe, den ein großer Zweck der Seele<lb/>
giebt. Er warf &#x017F;ich mit doppeltem Eifer wieder auf<lb/>
&#x017F;eine Studien, &#x017F;ein ganzes Sinnen und Trachten<lb/>
war endlich auf &#x017F;ein Vaterland gerichtet. Dieß<lb/>
mochte ihn abhalten, Erwin damals genauer zu be¬<lb/>
obachten, der &#x017F;eit jenem Abend &#x017F;tiller als je gewor¬<lb/>
den und &#x017F;ich an einem wunderbaren Triebe nach<lb/>
freyer Luft und Freyheit lang&#x017F;am zu verzehren<lb/>
&#x017F;chien. Ro&#x017F;a'n mochte er &#x017F;eitdem nicht wieder be&#x017F;<lb/>
chen. Romana hatte &#x017F;ich &#x017F;eit einiger Zeit &#x017F;elt&#x017F;am<lb/>
von allen grö&#x017F;&#x017F;eren Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften entfernt. &#x2014; Wir<lb/>
aber &#x017F;türzen uns lieber in die Wirbel der Ge&#x017F;chich¬<lb/>
te, denn es wird der Seele wohler und weiter im<lb/>
Sturm und Blitzen, als in die&#x017F;er feindlichlauern¬<lb/>
den Stille.</p><lb/>
          <p>Es war ein Feyertag im März, da ritt Frie¬<lb/>
drich mit dem Prinzen auf einem der be&#x017F;uchte&#x017F;ten<lb/>
Spaziergänge. Nach allen Richtungen hin zogen<lb/>
unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Thoren<lb/>
aus und zer&#x017F;treuten &#x017F;ich lu&#x017F;tig in die neue, warme,<lb/>
&#x017F;challende Welt. Schaukeln und Ringel&#x017F;piele dreh¬<lb/>
ten &#x017F;ich auf den offenen Ra&#x017F;enplätzen, Mu&#x017F;iken<lb/>
klangen von allen Seiten ineinander, eine unüber¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0277] plötzlich ſeltſam ihre Miene. Keine Glockenklänge wehen mehr fromm über die Felder, die Wolken zu zertheilen, der Glaube iſt todt, die Welt liegt ſtumm und viel Theures wird untergehen, eh' die Bruſt wieder frey aufathmet. Friedrich fühlte dieſen gewitternden Druck der Luft und waffnete ſich nur deſto frömmer mit jenem Ernſt und Muthe, den ein großer Zweck der Seele giebt. Er warf ſich mit doppeltem Eifer wieder auf ſeine Studien, ſein ganzes Sinnen und Trachten war endlich auf ſein Vaterland gerichtet. Dieß mochte ihn abhalten, Erwin damals genauer zu be¬ obachten, der ſeit jenem Abend ſtiller als je gewor¬ den und ſich an einem wunderbaren Triebe nach freyer Luft und Freyheit langſam zu verzehren ſchien. Roſa'n mochte er ſeitdem nicht wieder beſu¬ chen. Romana hatte ſich ſeit einiger Zeit ſeltſam von allen gröſſeren Geſellſchaften entfernt. — Wir aber ſtürzen uns lieber in die Wirbel der Geſchich¬ te, denn es wird der Seele wohler und weiter im Sturm und Blitzen, als in dieſer feindlichlauern¬ den Stille. Es war ein Feyertag im März, da ritt Frie¬ drich mit dem Prinzen auf einem der beſuchteſten Spaziergänge. Nach allen Richtungen hin zogen unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Thoren aus und zerſtreuten ſich luſtig in die neue, warme, ſchallende Welt. Schaukeln und Ringelſpiele dreh¬ ten ſich auf den offenen Raſenplätzen, Muſiken klangen von allen Seiten ineinander, eine unüber¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/277
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/277>, abgerufen am 18.04.2024.