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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Als die Sonne schon hoch war, bestiegen sie
die alte wohlerhaltene Burg, die wie eine Ehren¬
krone über der altdeutschen Gegend stand. Des
Wirths Tochter gieng ihnen mit einigen Flaschen
Wein lustig die dunklen, mit Epheu überwachsenen
Mauerpfade voran, ihr junges, blühendes Gesicht
nahm sich gar zierlich zwischen dem alten Gemäuer
und Bilderwerk aus. Sie legte vor der Sonne die
Hand über die Augen und nannte ihnen die zer¬
streuten Städte und Flüsse in der unermeßlichen
Aussicht, die sich unten aufthat. Leontin schenkte
Wein ein, sie that ihnen Bescheid und gab jedem
willig zum Abschiede einen Kuß.

Sie stieg nun wieder den Berg hinab, die bey¬
den schauten fröhlich in das Land hinaus. Da sa¬
hen sie, wie jenseits des Rheins zwey Jägerbur¬
schen aus dem Walde kamen und einen Kahn be¬
stiegen, der am Ufer lag. Sie kamen quer über den
Rhein auf das Städtchen zugefahren. Der eine saß
tiefsinnig im Kahne, der andere that mehrere
Schüsse, die vielfach in den Bergen wiederhallten.
Erwin hatte sich in ein ausgebrochenes Bogenfenster
der Burg gesetzt, das unmittelbar über dem Ab¬
grunde stand. Ohne allen Schwindel saß er dort
oben, seine ganze Seele schien aus den sinnigen
Augen in die wunderbare Aussicht hinauszusehen.
Er sagte voller Freuden, er erblicke ganz im Hin¬
tergrunde einen Berg und einen hervorragenden
Wald, den er gar wohl kenne. Leontin ließ sich
die Gegend zeigen und schien sie ebenfalls zu erken¬

Als die Sonne ſchon hoch war, beſtiegen ſie
die alte wohlerhaltene Burg, die wie eine Ehren¬
krone über der altdeutſchen Gegend ſtand. Des
Wirths Tochter gieng ihnen mit einigen Flaſchen
Wein luſtig die dunklen, mit Epheu überwachſenen
Mauerpfade voran, ihr junges, blühendes Geſicht
nahm ſich gar zierlich zwiſchen dem alten Gemäuer
und Bilderwerk aus. Sie legte vor der Sonne die
Hand über die Augen und nannte ihnen die zer¬
ſtreuten Städte und Flüſſe in der unermeßlichen
Ausſicht, die ſich unten aufthat. Leontin ſchenkte
Wein ein, ſie that ihnen Beſcheid und gab jedem
willig zum Abſchiede einen Kuß.

Sie ſtieg nun wieder den Berg hinab, die bey¬
den ſchauten fröhlich in das Land hinaus. Da ſa¬
hen ſie, wie jenſeits des Rheins zwey Jägerbur¬
ſchen aus dem Walde kamen und einen Kahn be¬
ſtiegen, der am Ufer lag. Sie kamen quer über den
Rhein auf das Städtchen zugefahren. Der eine ſaß
tiefſinnig im Kahne, der andere that mehrere
Schüſſe, die vielfach in den Bergen wiederhallten.
Erwin hatte ſich in ein ausgebrochenes Bogenfenſter
der Burg geſetzt, das unmittelbar über dem Ab¬
grunde ſtand. Ohne allen Schwindel ſaß er dort
oben, ſeine ganze Seele ſchien aus den ſinnigen
Augen in die wunderbare Ausſicht hinauszuſehen.
Er ſagte voller Freuden, er erblicke ganz im Hin¬
tergrunde einen Berg und einen hervorragenden
Wald, den er gar wohl kenne. Leontin ließ ſich
die Gegend zeigen und ſchien ſie ebenfalls zu erken¬

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[279/0285] Als die Sonne ſchon hoch war, beſtiegen ſie die alte wohlerhaltene Burg, die wie eine Ehren¬ krone über der altdeutſchen Gegend ſtand. Des Wirths Tochter gieng ihnen mit einigen Flaſchen Wein luſtig die dunklen, mit Epheu überwachſenen Mauerpfade voran, ihr junges, blühendes Geſicht nahm ſich gar zierlich zwiſchen dem alten Gemäuer und Bilderwerk aus. Sie legte vor der Sonne die Hand über die Augen und nannte ihnen die zer¬ ſtreuten Städte und Flüſſe in der unermeßlichen Ausſicht, die ſich unten aufthat. Leontin ſchenkte Wein ein, ſie that ihnen Beſcheid und gab jedem willig zum Abſchiede einen Kuß. Sie ſtieg nun wieder den Berg hinab, die bey¬ den ſchauten fröhlich in das Land hinaus. Da ſa¬ hen ſie, wie jenſeits des Rheins zwey Jägerbur¬ ſchen aus dem Walde kamen und einen Kahn be¬ ſtiegen, der am Ufer lag. Sie kamen quer über den Rhein auf das Städtchen zugefahren. Der eine ſaß tiefſinnig im Kahne, der andere that mehrere Schüſſe, die vielfach in den Bergen wiederhallten. Erwin hatte ſich in ein ausgebrochenes Bogenfenſter der Burg geſetzt, das unmittelbar über dem Ab¬ grunde ſtand. Ohne allen Schwindel ſaß er dort oben, ſeine ganze Seele ſchien aus den ſinnigen Augen in die wunderbare Ausſicht hinauszuſehen. Er ſagte voller Freuden, er erblicke ganz im Hin¬ tergrunde einen Berg und einen hervorragenden Wald, den er gar wohl kenne. Leontin ließ ſich die Gegend zeigen und ſchien ſie ebenfalls zu erken¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/285>, abgerufen am 25.04.2024.