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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Achtzehntes Kapitel.

Wir finden Friedrich'n fern von dem wirrenden
Leben, das ihn gereizt und betrogen, in der tief¬
sten Einsamkeit eines Gebirges wieder. Ein unauf¬
hörlicher Regen war lange wie eine Sundfluth her¬
abgestürzt, die Wälder wogten wie Aehrenfelder im
feuchten Sturme. Als er endlich eines Abends auf
die letzte Ringmauer von Deutschland kam, wo
man nach Wälschland hinuntersieht, fieng das Wet¬
ter auf einmal an sich auszuklären und die Sonne
brach warm durch den Qualm. Die Bäume trö¬
pfelten in tausend Farben blitzend, unzählige Vö¬
gel begannen zu singen, das liebreizende, vielge¬
priesene Land unten schlug die Schleyer zurück und
blickte ihm wie eine Geliebte in's Herz.

Da er eben in die weite Tiefe zu den aufge¬
henden Gärten hinablenken wollte, sah er auf einer
der Klippen einen jungen, schlanken Gemsenjäger
keck und trotzig ihm gegenüber steh'n und seinen
Stutz auf ihn anlegen. Er wandte schnell um und
ritt auf den Jäger los. Das schien diesem zu ge¬
fallen, er kam schnell zu Friedrich'n herabgesprun¬
gen und sah ihn von Kopf bis Fuß groß an,
während er dem Pferde desselben, das ungeduldig

Achtzehntes Kapitel.

Wir finden Friedrich'n fern von dem wirrenden
Leben, das ihn gereizt und betrogen, in der tief¬
ſten Einſamkeit eines Gebirges wieder. Ein unauf¬
hörlicher Regen war lange wie eine Sundfluth her¬
abgeſtürzt, die Wälder wogten wie Aehrenfelder im
feuchten Sturme. Als er endlich eines Abends auf
die letzte Ringmauer von Deutſchland kam, wo
man nach Wälſchland hinunterſieht, fieng das Wet¬
ter auf einmal an ſich auszuklären und die Sonne
brach warm durch den Qualm. Die Bäume trö¬
pfelten in tauſend Farben blitzend, unzählige Vö¬
gel begannen zu ſingen, das liebreizende, vielge¬
prieſene Land unten ſchlug die Schleyer zurück und
blickte ihm wie eine Geliebte in's Herz.

Da er eben in die weite Tiefe zu den aufge¬
henden Gärten hinablenken wollte, ſah er auf einer
der Klippen einen jungen, ſchlanken Gemſenjäger
keck und trotzig ihm gegenüber ſteh'n und ſeinen
Stutz auf ihn anlegen. Er wandte ſchnell um und
ritt auf den Jäger los. Das ſchien dieſem zu ge¬
fallen, er kam ſchnell zu Friedrich'n herabgeſprun¬
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[0333] Achtzehntes Kapitel. Wir finden Friedrich'n fern von dem wirrenden Leben, das ihn gereizt und betrogen, in der tief¬ ſten Einſamkeit eines Gebirges wieder. Ein unauf¬ hörlicher Regen war lange wie eine Sundfluth her¬ abgeſtürzt, die Wälder wogten wie Aehrenfelder im feuchten Sturme. Als er endlich eines Abends auf die letzte Ringmauer von Deutſchland kam, wo man nach Wälſchland hinunterſieht, fieng das Wet¬ ter auf einmal an ſich auszuklären und die Sonne brach warm durch den Qualm. Die Bäume trö¬ pfelten in tauſend Farben blitzend, unzählige Vö¬ gel begannen zu ſingen, das liebreizende, vielge¬ prieſene Land unten ſchlug die Schleyer zurück und blickte ihm wie eine Geliebte in's Herz. Da er eben in die weite Tiefe zu den aufge¬ henden Gärten hinablenken wollte, ſah er auf einer der Klippen einen jungen, ſchlanken Gemſenjäger keck und trotzig ihm gegenüber ſteh'n und ſeinen Stutz auf ihn anlegen. Er wandte ſchnell um und ritt auf den Jäger los. Das ſchien dieſem zu ge¬ fallen, er kam ſchnell zu Friedrich'n herabgeſprun¬ gen und ſah ihn von Kopf bis Fuß groß an, während er dem Pferde deſſelben, das ungeduldig

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/333>, abgerufen am 29.03.2024.