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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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sah. Er betrachtete es lange gerührt und still¬
schweigend. Da fielen ihm die räthselhaften Worte
wieder ein, die Erwin sterbend von dem Alten im
Walde gesagt hatte. Er zweifelte nicht, daß dieser
um Vieles wissen müsse, was ihnen Licht über das
sonderbare Leben der Verstorbenen und ihrem Zu¬
sammenhang mit seiner eignen Kindheit geben kön¬
ne. Er erzählte es Leontinen. Dieser erschrack dar¬
über und wurde bey jedem Worte aufmerksamer;
er schien den Alten selber schon gesehen zu haben,
doch sagte er nicht, wann und wo.

Die beyden Freunde beschlossen nun, jenen
Winken Erwins zufolge, die Richtung nach dem be¬
schriebenen Walde hinzunehmen, um dort vielleicht
eine erwünschte Auflösung zu erhalten, da überdieß
jene Wildniß von Feinden rein, und der Weg
Leontinen ziemlich bekannt war. Es wurde schnell
alles vorbereitet. Sie nahmen herzlichen Abschied
von Julien, mit dem Versprechen, einander so bald
als möglich wiederzusehen, und Julie ritt nun mit
ihrer süssen, traurigen Last, die sie in ihrer bunten
Kleidung wie eine abgebrochene Blume auf einem
Pferde neben sich herführte, von der einen Seite
nach Hause, während sie von der anderen gegen
Sonnenaufgang in den großen Wald fortzogen.


ſah. Er betrachtete es lange gerührt und ſtill¬
ſchweigend. Da fielen ihm die räthſelhaften Worte
wieder ein, die Erwin ſterbend von dem Alten im
Walde geſagt hatte. Er zweifelte nicht, daß dieſer
um Vieles wiſſen müſſe, was ihnen Licht über das
ſonderbare Leben der Verſtorbenen und ihrem Zu¬
ſammenhang mit ſeiner eignen Kindheit geben kön¬
ne. Er erzählte es Leontinen. Dieſer erſchrack dar¬
über und wurde bey jedem Worte aufmerkſamer;
er ſchien den Alten ſelber ſchon geſehen zu haben,
doch ſagte er nicht, wann und wo.

Die beyden Freunde beſchloſſen nun, jenen
Winken Erwins zufolge, die Richtung nach dem be¬
ſchriebenen Walde hinzunehmen, um dort vielleicht
eine erwünſchte Auflöſung zu erhalten, da überdieß
jene Wildniß von Feinden rein, und der Weg
Leontinen ziemlich bekannt war. Es wurde ſchnell
alles vorbereitet. Sie nahmen herzlichen Abſchied
von Julien, mit dem Verſprechen, einander ſo bald
als möglich wiederzuſehen, und Julie ritt nun mit
ihrer ſüſſen, traurigen Laſt, die ſie in ihrer bunten
Kleidung wie eine abgebrochene Blume auf einem
Pferde neben ſich herführte, von der einen Seite
nach Hauſe, während ſie von der anderen gegen
Sonnenaufgang in den großen Wald fortzogen.


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[381/0387] ſah. Er betrachtete es lange gerührt und ſtill¬ ſchweigend. Da fielen ihm die räthſelhaften Worte wieder ein, die Erwin ſterbend von dem Alten im Walde geſagt hatte. Er zweifelte nicht, daß dieſer um Vieles wiſſen müſſe, was ihnen Licht über das ſonderbare Leben der Verſtorbenen und ihrem Zu¬ ſammenhang mit ſeiner eignen Kindheit geben kön¬ ne. Er erzählte es Leontinen. Dieſer erſchrack dar¬ über und wurde bey jedem Worte aufmerkſamer; er ſchien den Alten ſelber ſchon geſehen zu haben, doch ſagte er nicht, wann und wo. Die beyden Freunde beſchloſſen nun, jenen Winken Erwins zufolge, die Richtung nach dem be¬ ſchriebenen Walde hinzunehmen, um dort vielleicht eine erwünſchte Auflöſung zu erhalten, da überdieß jene Wildniß von Feinden rein, und der Weg Leontinen ziemlich bekannt war. Es wurde ſchnell alles vorbereitet. Sie nahmen herzlichen Abſchied von Julien, mit dem Verſprechen, einander ſo bald als möglich wiederzuſehen, und Julie ritt nun mit ihrer ſüſſen, traurigen Laſt, die ſie in ihrer bunten Kleidung wie eine abgebrochene Blume auf einem Pferde neben ſich herführte, von der einen Seite nach Hauſe, während ſie von der anderen gegen Sonnenaufgang in den großen Wald fortzogen.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/387>, abgerufen am 28.03.2024.