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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬
de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬
deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu stillen, wor¬
auf sie ihn näher an sein Schloß führten.

Als er sich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬
te, und die Gemüther beruhigt waren, äusserte
Friedrich seine Verwunderung, wie er so einsam in
dieser Gesellschaft aushalten könne.

Und was ist es denn mehr und anders, sagte
Rudolph, als in der anderen gescheiden Welt?
Da steht auch jeder mit seinen besonderen, eignen
Empfindungen, Gedanken, Ansichten und Wünschen
neben dem anderen wieder mit seinem besonderen
Wesen, und, wie sie sich auch, gleichwie mit Po¬
lypenarmen, künstlich betasten und einander recht
aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß
ja doch am Ende keiner, was er selber ist oder was
der andere eigentlich meynt und haben will, und so
muß jeder dem anderen verrückt seyn, wenn es übri¬
gens Narren sind, die überhaupt noch etwas meynen
oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬
ten von Profession aber ist nur, daß sie dabey noch
glücklich sind.

Bey diesen Worten erblickte er das vielerwähn¬
te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬
verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng schnell
auf Friedrich'n zu. Woher hast du das? fragte er,
und nahm das Bild zu sich. Er schien bewegt, als
sie ihm erzählten, von wem sie es hatten, und daß
Erwin gestorben sey, doch konnte man nicht unter¬

Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬
de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬
deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu ſtillen, wor¬
auf ſie ihn näher an ſein Schloß führten.

Als er ſich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬
te, und die Gemüther beruhigt waren, äuſſerte
Friedrich ſeine Verwunderung, wie er ſo einſam in
dieſer Geſellſchaft aushalten könne.

Und was iſt es denn mehr und anders, ſagte
Rudolph, als in der anderen geſcheiden Welt?
Da ſteht auch jeder mit ſeinen beſonderen, eignen
Empfindungen, Gedanken, Anſichten und Wünſchen
neben dem anderen wieder mit ſeinem beſonderen
Weſen, und, wie ſie ſich auch, gleichwie mit Po¬
lypenarmen, künſtlich betaſten und einander recht
aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß
ja doch am Ende keiner, was er ſelber iſt oder was
der andere eigentlich meynt und haben will, und ſo
muß jeder dem anderen verrückt ſeyn, wenn es übri¬
gens Narren ſind, die überhaupt noch etwas meynen
oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬
ten von Profeſſion aber iſt nur, daß ſie dabey noch
glücklich ſind.

Bey dieſen Worten erblickte er das vielerwähn¬
te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬
verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng ſchnell
auf Friedrich'n zu. Woher haſt du das? fragte er,
und nahm das Bild zu ſich. Er ſchien bewegt, als
ſie ihm erzählten, von wem ſie es hatten, und daß
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[414/0420] Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬ de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬ deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu ſtillen, wor¬ auf ſie ihn näher an ſein Schloß führten. Als er ſich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬ te, und die Gemüther beruhigt waren, äuſſerte Friedrich ſeine Verwunderung, wie er ſo einſam in dieſer Geſellſchaft aushalten könne. Und was iſt es denn mehr und anders, ſagte Rudolph, als in der anderen geſcheiden Welt? Da ſteht auch jeder mit ſeinen beſonderen, eignen Empfindungen, Gedanken, Anſichten und Wünſchen neben dem anderen wieder mit ſeinem beſonderen Weſen, und, wie ſie ſich auch, gleichwie mit Po¬ lypenarmen, künſtlich betaſten und einander recht aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß ja doch am Ende keiner, was er ſelber iſt oder was der andere eigentlich meynt und haben will, und ſo muß jeder dem anderen verrückt ſeyn, wenn es übri¬ gens Narren ſind, die überhaupt noch etwas meynen oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬ ten von Profeſſion aber iſt nur, daß ſie dabey noch glücklich ſind. Bey dieſen Worten erblickte er das vielerwähn¬ te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬ verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng ſchnell auf Friedrich'n zu. Woher haſt du das? fragte er, und nahm das Bild zu ſich. Er ſchien bewegt, als ſie ihm erzählten, von wem ſie es hatten, und daß Erwin geſtorben ſey, doch konnte man nicht unter¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/420>, abgerufen am 29.03.2024.