Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Frühmorgens durch die Winde kühl
Zwey Ritter hergeritten sind,
Im Garten klingt ihr Saitenspiel,
Wach' auf, wach' auf, mein schönes Kind!
Ringsum viel' Schlösser schimmernd steh'n,
So silbern geht der Ströme Lauf,
Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n,
Schließ' Fenster, Herz und Aeuglein auf!

Friedrich war gar nicht begierig, die alte
Schöne kennen zu lernen, und blieb ruhig in der
Thüre stehen. Da hörte er oben ein Fenster sich
öffnen. Guten Morgen, lieber Bruder! sagte eine
liebliche Stimme. Leontin sang:

So wie du bist, verschlafen heiß,
Laß allen Putz und Zier zu Haus,
Tritt nur herfür im Hemdlein weiß,
Siehst so gar schön verliebet aus.

Wenn du so garstig singst, sagte oben die lieb¬
liche Stimme, so leg' ich mich gleich wieder schlafen.
Friedrich erblickte einen schneeweißen, vollen Arm
im Fenster und Leontin sang wieder:

Ich hab' einen Fremden wohl bey mir,
Der lauert unten auf der Wacht,
Der bittet schön dich um Quartier,
Verschlafnes Kind, nimm dich in Acht!

Friedrich trat nun aus seinem Hinterhalte
hervor und sah mit Erstaunen -- seine Rosa im
Fenster. Sie war in einem leichten Nachtkleide und
dehnte sich eben mit aufgehobenen Armen in den
frischen Morgen hinaus. Als sie so unverhofft

Frühmorgens durch die Winde kühl
Zwey Ritter hergeritten ſind,
Im Garten klingt ihr Saitenſpiel,
Wach' auf, wach' auf, mein ſchönes Kind!
Ringsum viel' Schlöſſer ſchimmernd ſteh'n,
So ſilbern geht der Ströme Lauf,
Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n,
Schließ' Fenſter, Herz und Aeuglein auf!

Friedrich war gar nicht begierig, die alte
Schöne kennen zu lernen, und blieb ruhig in der
Thüre ſtehen. Da hörte er oben ein Fenſter ſich
öffnen. Guten Morgen, lieber Bruder! ſagte eine
liebliche Stimme. Leontin ſang:

So wie du biſt, verſchlafen heiß,
Laß allen Putz und Zier zu Haus,
Tritt nur herfür im Hemdlein weiß,
Siehſt ſo gar ſchön verliebet aus.

Wenn du ſo garſtig ſingſt, ſagte oben die lieb¬
liche Stimme, ſo leg' ich mich gleich wieder ſchlafen.
Friedrich erblickte einen ſchneeweißen, vollen Arm
im Fenſter und Leontin ſang wieder:

Ich hab' einen Fremden wohl bey mir,
Der lauert unten auf der Wacht,
Der bittet ſchön dich um Quartier,
Verſchlafnes Kind, nimm dich in Acht!

Friedrich trat nun aus ſeinem Hinterhalte
hervor und ſah mit Erſtaunen — ſeine Roſa im
Fenſter. Sie war in einem leichten Nachtkleide und
dehnte ſich eben mit aufgehobenen Armen in den
friſchen Morgen hinaus. Als ſie ſo unverhofft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0044" n="38"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">Frühmorgens durch die Winde kühl</l><lb/>
              <l>Zwey Ritter hergeritten &#x017F;ind,</l><lb/>
              <l>Im Garten klingt ihr Saiten&#x017F;piel,</l><lb/>
              <l>Wach' auf, wach' auf, mein &#x017F;chönes Kind!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et">Ringsum viel' Schlö&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chimmernd &#x017F;teh'n,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;ilbern geht der Ströme Lauf,</l><lb/>
              <l>Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n,</l><lb/>
              <l>Schließ' Fen&#x017F;ter, Herz und Aeuglein auf!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <p><hi rendition="#g">Friedrich</hi> war gar nicht begierig, die alte<lb/>
Schöne kennen zu lernen, und blieb ruhig in der<lb/>
Thüre &#x017F;tehen. Da hörte er oben ein Fen&#x017F;ter &#x017F;ich<lb/>
öffnen. Guten Morgen, lieber Bruder! &#x017F;agte eine<lb/>
liebliche Stimme. <hi rendition="#g">Leontin</hi> &#x017F;ang:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">So wie du bi&#x017F;t, ver&#x017F;chlafen heiß,</l><lb/>
            <l>Laß allen Putz und Zier zu Haus,</l><lb/>
            <l>Tritt nur herfür im Hemdlein weiß,</l><lb/>
            <l>Sieh&#x017F;t &#x017F;o gar &#x017F;chön verliebet aus.</l><lb/>
          </lg>
          <p>Wenn du &#x017F;o gar&#x017F;tig &#x017F;ing&#x017F;t, &#x017F;agte oben die lieb¬<lb/>
liche Stimme, &#x017F;o leg' ich mich gleich wieder &#x017F;chlafen.<lb/><hi rendition="#g">Friedrich</hi> erblickte einen &#x017F;chneeweißen, vollen Arm<lb/>
im Fen&#x017F;ter und <hi rendition="#g">Leontin</hi> &#x017F;ang wieder:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">Ich hab' einen Fremden wohl bey mir,</l><lb/>
            <l>Der lauert unten auf der Wacht,</l><lb/>
            <l>Der bittet &#x017F;chön dich um Quartier,</l><lb/>
            <l>Ver&#x017F;chlafnes Kind, nimm dich in Acht!</l><lb/>
          </lg>
          <p><hi rendition="#g">Friedrich</hi> trat nun aus &#x017F;einem Hinterhalte<lb/>
hervor und &#x017F;ah mit Er&#x017F;taunen &#x2014; &#x017F;eine <hi rendition="#g">Ro&#x017F;a</hi> im<lb/>
Fen&#x017F;ter. Sie war in einem leichten Nachtkleide und<lb/>
dehnte &#x017F;ich eben mit aufgehobenen Armen in den<lb/>
fri&#x017F;chen Morgen hinaus. Als &#x017F;ie &#x017F;o unverhofft<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0044] Frühmorgens durch die Winde kühl Zwey Ritter hergeritten ſind, Im Garten klingt ihr Saitenſpiel, Wach' auf, wach' auf, mein ſchönes Kind! Ringsum viel' Schlöſſer ſchimmernd ſteh'n, So ſilbern geht der Ströme Lauf, Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n, Schließ' Fenſter, Herz und Aeuglein auf! Friedrich war gar nicht begierig, die alte Schöne kennen zu lernen, und blieb ruhig in der Thüre ſtehen. Da hörte er oben ein Fenſter ſich öffnen. Guten Morgen, lieber Bruder! ſagte eine liebliche Stimme. Leontin ſang: So wie du biſt, verſchlafen heiß, Laß allen Putz und Zier zu Haus, Tritt nur herfür im Hemdlein weiß, Siehſt ſo gar ſchön verliebet aus. Wenn du ſo garſtig ſingſt, ſagte oben die lieb¬ liche Stimme, ſo leg' ich mich gleich wieder ſchlafen. Friedrich erblickte einen ſchneeweißen, vollen Arm im Fenſter und Leontin ſang wieder: Ich hab' einen Fremden wohl bey mir, Der lauert unten auf der Wacht, Der bittet ſchön dich um Quartier, Verſchlafnes Kind, nimm dich in Acht! Friedrich trat nun aus ſeinem Hinterhalte hervor und ſah mit Erſtaunen — ſeine Roſa im Fenſter. Sie war in einem leichten Nachtkleide und dehnte ſich eben mit aufgehobenen Armen in den friſchen Morgen hinaus. Als ſie ſo unverhofft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/44
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/44>, abgerufen am 19.04.2024.