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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Fröhlich an den öden Mauern
Schweift der Morgensonne Blick,
Da versinkt das Bild mit Schauern,
Einsam in sich selbst zurück.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Friedrich und Leontin vermehrten nun auch den
wunderlichen Haushalt auf dem alten Waldschlosse.
Der unglückselige Rudolph lag gegen beyde und al¬
le Welt mit Witz zu Felde, so oft er mit ihnen
zusammenkam. Doch geschah dieß nur selten, denn
er schweifte oft Tagelang allein im Walde umher,
wo er sich mit sich selber oder den Rehen, die er
sehr zahm zu machen gewußt, in lange Unterredun¬
gen einzulassen pflegte. Ja, es geschah gar oft,
daß sie ihn in einem lebhaften und höchstkomischen
Gespräche mit irgend einem Felsen oder Steine
überraschten, der etwa durch eine Mundähnliche
Oeffnung oder weise vorstehende Nase eine eigne,
wunderliche Phisiognomie machte. Dabey bildeten
die Narren, welche er auf seinen Streifzügen, die
er noch bisweilen ins Land hinab machte, zusam¬
mengerafft, eine seltsame Akademie um ihn, alle
ernsthaften Thorheiten der Welt in fast schauerlicher
und tragischer Karikatur travestirend. Jeder dersel¬
ben hatte seine bestimmte Tagesarbeit im Hauswe¬

Fröhlich an den öden Mauern
Schweift der Morgenſonne Blick,
Da verſinkt das Bild mit Schauern,
Einſam in ſich ſelbſt zurück.

Vierundzwanzigſtes Kapitel.

Friedrich und Leontin vermehrten nun auch den
wunderlichen Haushalt auf dem alten Waldſchloſſe.
Der unglückſelige Rudolph lag gegen beyde und al¬
le Welt mit Witz zu Felde, ſo oft er mit ihnen
zuſammenkam. Doch geſchah dieß nur ſelten, denn
er ſchweifte oft Tagelang allein im Walde umher,
wo er ſich mit ſich ſelber oder den Rehen, die er
ſehr zahm zu machen gewußt, in lange Unterredun¬
gen einzulaſſen pflegte. Ja, es geſchah gar oft,
daß ſie ihn in einem lebhaften und höchſtkomiſchen
Geſpräche mit irgend einem Felſen oder Steine
überraſchten, der etwa durch eine Mundähnliche
Oeffnung oder weiſe vorſtehende Naſe eine eigne,
wunderliche Phiſiognomie machte. Dabey bildeten
die Narren, welche er auf ſeinen Streifzügen, die
er noch bisweilen ins Land hinab machte, zuſam¬
mengerafft, eine ſeltſame Akademie um ihn, alle
ernſthaften Thorheiten der Welt in faſt ſchauerlicher
und tragiſcher Karikatur traveſtirend. Jeder derſel¬
ben hatte ſeine beſtimmte Tagesarbeit im Hauswe¬

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[446/0452] Fröhlich an den öden Mauern Schweift der Morgenſonne Blick, Da verſinkt das Bild mit Schauern, Einſam in ſich ſelbſt zurück. Vierundzwanzigſtes Kapitel. Friedrich und Leontin vermehrten nun auch den wunderlichen Haushalt auf dem alten Waldſchloſſe. Der unglückſelige Rudolph lag gegen beyde und al¬ le Welt mit Witz zu Felde, ſo oft er mit ihnen zuſammenkam. Doch geſchah dieß nur ſelten, denn er ſchweifte oft Tagelang allein im Walde umher, wo er ſich mit ſich ſelber oder den Rehen, die er ſehr zahm zu machen gewußt, in lange Unterredun¬ gen einzulaſſen pflegte. Ja, es geſchah gar oft, daß ſie ihn in einem lebhaften und höchſtkomiſchen Geſpräche mit irgend einem Felſen oder Steine überraſchten, der etwa durch eine Mundähnliche Oeffnung oder weiſe vorſtehende Naſe eine eigne, wunderliche Phiſiognomie machte. Dabey bildeten die Narren, welche er auf ſeinen Streifzügen, die er noch bisweilen ins Land hinab machte, zuſam¬ mengerafft, eine ſeltſame Akademie um ihn, alle ernſthaften Thorheiten der Welt in faſt ſchauerlicher und tragiſcher Karikatur traveſtirend. Jeder derſel¬ ben hatte ſeine beſtimmte Tagesarbeit im Hauswe¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/452>, abgerufen am 29.03.2024.