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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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Kirschgärten unten blühten wieder, und lustige Kähne
mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang
ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehört, auf
das ich mich aber seitdem durchaus nicht wieder besin¬
nen konnte. Ich wachte vor Freude darüber auf,
das Fenster stand noch offen, und als ich mich hin¬
auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die
stille Nacht herüber. -- Seht, ein solcher Lufthauch
wendet oft das Narrenschiff des Menschen! Ohne
selber recht zu wissen, was ich that oder wollte, klei¬
dete ich mich rasch an, schnürte mein Bündel, im
Hause schliefen noch alle, und ehe eine Viertelstunde
verging, wanderte ich schon durch die dunkle Kasta¬
nienallee das stille Dorf entlang. Als ich ins Freie
kam, tönte das Lied noch immerfort, aber sehr fern. --

Hier hielt er plötzlich erschrocken inne, man hörte
tief im Garten singen; die Luft kam von dort herüber;
sie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund'?
Lockt's dich nicht hinabzulauschen
Von dem Söller in den Grund,
Wo die vielen Bäche gehen
Wunderbar im Mondenschein
Und die stillen Schlösser sehen
In den Fluß vom hohen Stein.

Das ist das Lied! -- rief Otto, und eilte ganz ver¬
wirrt den Berg hinab. Unten aber sang es von neuem:

8

Kirſchgaͤrten unten bluͤhten wieder, und luſtige Kaͤhne
mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang
ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehoͤrt, auf
das ich mich aber ſeitdem durchaus nicht wieder beſin¬
nen konnte. Ich wachte vor Freude daruͤber auf,
das Fenſter ſtand noch offen, und als ich mich hin¬
auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die
ſtille Nacht heruͤber. — Seht, ein ſolcher Lufthauch
wendet oft das Narrenſchiff des Menſchen! Ohne
ſelber recht zu wiſſen, was ich that oder wollte, klei¬
dete ich mich raſch an, ſchnuͤrte mein Buͤndel, im
Hauſe ſchliefen noch alle, und ehe eine Viertelſtunde
verging, wanderte ich ſchon durch die dunkle Kaſta¬
nienallee das ſtille Dorf entlang. Als ich ins Freie
kam, toͤnte das Lied noch immerfort, aber ſehr fern. —

Hier hielt er ploͤtzlich erſchrocken inne, man hoͤrte
tief im Garten ſingen; die Luft kam von dort heruͤber;
ſie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:

Hoͤrſt du nicht die Baͤume rauſchen
Draußen durch die ſtille Rund'?
Lockt's dich nicht hinabzulauſchen
Von dem Soͤller in den Grund,
Wo die vielen Baͤche gehen
Wunderbar im Mondenſchein
Und die ſtillen Schloͤſſer ſehen
In den Fluß vom hohen Stein.

Das iſt das Lied! — rief Otto, und eilte ganz ver¬
wirrt den Berg hinab. Unten aber ſang es von neuem:

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[113/0120] Kirſchgaͤrten unten bluͤhten wieder, und luſtige Kaͤhne mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang ein Lied aus dem Thale, das ich damals gehoͤrt, auf das ich mich aber ſeitdem durchaus nicht wieder beſin¬ nen konnte. Ich wachte vor Freude daruͤber auf, das Fenſter ſtand noch offen, und als ich mich hin¬ auslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die ſtille Nacht heruͤber. — Seht, ein ſolcher Lufthauch wendet oft das Narrenſchiff des Menſchen! Ohne ſelber recht zu wiſſen, was ich that oder wollte, klei¬ dete ich mich raſch an, ſchnuͤrte mein Buͤndel, im Hauſe ſchliefen noch alle, und ehe eine Viertelſtunde verging, wanderte ich ſchon durch die dunkle Kaſta¬ nienallee das ſtille Dorf entlang. Als ich ins Freie kam, toͤnte das Lied noch immerfort, aber ſehr fern. — Hier hielt er ploͤtzlich erſchrocken inne, man hoͤrte tief im Garten ſingen; die Luft kam von dort heruͤber; ſie konnten deutlich folgende Worte vernehmen: Hoͤrſt du nicht die Baͤume rauſchen Draußen durch die ſtille Rund'? Lockt's dich nicht hinabzulauſchen Von dem Soͤller in den Grund, Wo die vielen Baͤche gehen Wunderbar im Mondenſchein Und die ſtillen Schloͤſſer ſehen In den Fluß vom hohen Stein. Das iſt das Lied! — rief Otto, und eilte ganz ver¬ wirrt den Berg hinab. Unten aber ſang es von neuem: 8

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/120>, abgerufen am 23.04.2024.