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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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Die Nachtigall schweigt, sie hat ihr Nest gefunden,
Träg zieh'n die Quellen, die so kühle sprangen,
In trüber Schwüle liegt die Welt gefangen,
So hat den Lenz der Sommer überwunden.
Noch nie hat es die Brust so tief empfunden,
Mir war's, als ob viel' Stimmen heimlich sangen:
Auch dein Lenz, froher Sänger, ist vergangen,
Auf welkem Laub nun liegst du selbst gebunden.
O komm, Geliebte, komm zu mir zurücke!
Daß ich in deinen Augen wieder lesen
Mein Hoffen kann, mein Singen und mein Lieben!
Doch weh! wie fremd sind plötzlich deine Blicke,
Als wärst du's, die ich meinte, nie gewesen --
Wie einsam bin ich in der Welt geblieben.

Mein Weib, das schwärmt beständig,
Und Deutschland liegt so weit,
Das Dichten geht elendig
In meiner Einsamkeit.
Ich dehne alle Glieder
Aus dieser schwülen Gruft,
O Herr, gieb Frühling wieder,
Luft, frische freie Luft!

Als er von dem Blatt aufsah, hörte er draußen
Vorübergehende reden in der fremden Sprache, aber
ein Vogel über ihm fang wie ehemals in Hohenstein
-- er drückte die Stirn über beide Arme auf den
Tisch und weinte aus Herzensgrunde.

Da hörte man plötzlich im Hause eine liebliche
Stimme einzelne Klänge aus Opern-Arien theatralisch

Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden,
Traͤg zieh'n die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen,
In truͤber Schwuͤle liegt die Welt gefangen,
So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden.
Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden,
Mir war's, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen:
Auch dein Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen,
Auf welkem Laub nun liegſt du ſelbſt gebunden.
O komm, Geliebte, komm zu mir zuruͤcke!
Daß ich in deinen Augen wieder leſen
Mein Hoffen kann, mein Singen und mein Lieben!
Doch weh! wie fremd ſind ploͤtzlich deine Blicke,
Als waͤrſt du's, die ich meinte, nie geweſen —
Wie einſam bin ich in der Welt geblieben.

Mein Weib, das ſchwaͤrmt beſtaͤndig,
Und Deutſchland liegt ſo weit,
Das Dichten geht elendig
In meiner Einſamkeit.
Ich dehne alle Glieder
Aus dieſer ſchwuͤlen Gruft,
O Herr, gieb Fruͤhling wieder,
Luft, friſche freie Luft!

Als er von dem Blatt aufſah, hoͤrte er draußen
Voruͤbergehende reden in der fremden Sprache, aber
ein Vogel uͤber ihm fang wie ehemals in Hohenſtein
— er druͤckte die Stirn uͤber beide Arme auf den
Tiſch und weinte aus Herzensgrunde.

Da hoͤrte man ploͤtzlich im Hauſe eine liebliche
Stimme einzelne Klaͤnge aus Opern-Arien theatraliſch

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[228/0235] Die Nachtigall ſchweigt, ſie hat ihr Neſt gefunden, Traͤg zieh'n die Quellen, die ſo kuͤhle ſprangen, In truͤber Schwuͤle liegt die Welt gefangen, So hat den Lenz der Sommer uͤberwunden. Noch nie hat es die Bruſt ſo tief empfunden, Mir war's, als ob viel' Stimmen heimlich ſangen: Auch dein Lenz, froher Saͤnger, iſt vergangen, Auf welkem Laub nun liegſt du ſelbſt gebunden. O komm, Geliebte, komm zu mir zuruͤcke! Daß ich in deinen Augen wieder leſen Mein Hoffen kann, mein Singen und mein Lieben! Doch weh! wie fremd ſind ploͤtzlich deine Blicke, Als waͤrſt du's, die ich meinte, nie geweſen — Wie einſam bin ich in der Welt geblieben. Mein Weib, das ſchwaͤrmt beſtaͤndig, Und Deutſchland liegt ſo weit, Das Dichten geht elendig In meiner Einſamkeit. Ich dehne alle Glieder Aus dieſer ſchwuͤlen Gruft, O Herr, gieb Fruͤhling wieder, Luft, friſche freie Luft! Als er von dem Blatt aufſah, hoͤrte er draußen Voruͤbergehende reden in der fremden Sprache, aber ein Vogel uͤber ihm fang wie ehemals in Hohenſtein — er druͤckte die Stirn uͤber beide Arme auf den Tiſch und weinte aus Herzensgrunde. Da hoͤrte man ploͤtzlich im Hauſe eine liebliche Stimme einzelne Klaͤnge aus Opern-Arien theatraliſch

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/235>, abgerufen am 24.04.2024.