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Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.

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Nachruf an meinen Bruder.
Ach, daß auch wir schliefen!
Die blühenden Tiefen,
Die Ströme, die Auen
So heimlich aufschauen,
Als ob sie all' riefen:
"Dein Bruder ist todt!
Unter Rosen roth
Ach, daß wir auch schliefen!"
"Hast doch keine Schwingen,
Durch Wolken zu dringen!
Mußt immerfort schauen
Die Ströme, die Auen --
Die werden Dir singen
Von Ihm Tag und Nacht,
Mit Wahnsinnes-Macht
Die Seele umschlingen."
So singt, wie Syrenen,
Von hellblauen, schönen
Vergangenen Zeiten,
Der Abend von weitem,
Versinkt dann im Tönen,
Erst Busen dann Mund,
Im blühenden Grund.
O schweiget Syrenen!
O wecket nicht wieder!
Denn zaub'rische Lieder
21
Nachruf an meinen Bruder.
Ach, daß auch wir ſchliefen!
Die bluͤhenden Tiefen,
Die Stroͤme, die Auen
So heimlich aufſchauen,
Als ob ſie all' riefen:
„Dein Bruder iſt todt!
Unter Roſen roth
Ach, daß wir auch ſchliefen!“
„Haſt doch keine Schwingen,
Durch Wolken zu dringen!
Mußt immerfort ſchauen
Die Stroͤme, die Auen —
Die werden Dir ſingen
Von Ihm Tag und Nacht,
Mit Wahnſinnes-Macht
Die Seele umſchlingen.“
So ſingt, wie Syrenen,
Von hellblauen, ſchoͤnen
Vergangenen Zeiten,
Der Abend von weitem,
Verſinkt dann im Toͤnen,
Erſt Buſen dann Mund,
Im bluͤhenden Grund.
O ſchweiget Syrenen!
O wecket nicht wieder!
Denn zaub'riſche Lieder
21
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[321/0339] Nachruf an meinen Bruder. Ach, daß auch wir ſchliefen! Die bluͤhenden Tiefen, Die Stroͤme, die Auen So heimlich aufſchauen, Als ob ſie all' riefen: „Dein Bruder iſt todt! Unter Roſen roth Ach, daß wir auch ſchliefen!“ „Haſt doch keine Schwingen, Durch Wolken zu dringen! Mußt immerfort ſchauen Die Stroͤme, die Auen — Die werden Dir ſingen Von Ihm Tag und Nacht, Mit Wahnſinnes-Macht Die Seele umſchlingen.“ So ſingt, wie Syrenen, Von hellblauen, ſchoͤnen Vergangenen Zeiten, Der Abend von weitem, Verſinkt dann im Toͤnen, Erſt Buſen dann Mund, Im bluͤhenden Grund. O ſchweiget Syrenen! O wecket nicht wieder! Denn zaub'riſche Lieder 21

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/339>, abgerufen am 24.04.2024.