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Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837.

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Zauberblick.
Die Burg die liegt verfallen
In schöner Einsamkeit,
Dort saß ich vor den Hallen
Bei stiller Mittagszeit.
Es ruhten in der Kühle
Die Rehe auf dem Wall
Und tief in blauer Schwüle
Die sonn'gen Thäler all.
Tief unten hört' ich Glocken
In weiter Ferne geh'n,
Ich aber mußt erschrocken
Zum alten Erker seh'n.
Denn in dem Fensterbogen
Ein' schöne Fraue stand,
Als hütete sie droben
Die Wälder und das Land.
Ihr Haar, wie'n gold'ner Mantel,
War tief herabgerollt;
Auf einmal sie sich wandte,
Als ob sie sprechen wollt'.
Und als ich schauernd lauschte --
Da war ich aufgewacht
Und unter mir schon rauschte
So wunderbar die Nacht.
Zauberblick.
Die Burg die liegt verfallen
In ſchoͤner Einſamkeit,
Dort ſaß ich vor den Hallen
Bei ſtiller Mittagszeit.
Es ruhten in der Kuͤhle
Die Rehe auf dem Wall
Und tief in blauer Schwuͤle
Die ſonn'gen Thaͤler all.
Tief unten hoͤrt' ich Glocken
In weiter Ferne geh'n,
Ich aber mußt erſchrocken
Zum alten Erker ſeh'n.
Denn in dem Fenſterbogen
Ein' ſchoͤne Fraue ſtand,
Als huͤtete ſie droben
Die Waͤlder und das Land.
Ihr Haar, wie'n gold'ner Mantel,
War tief herabgerollt;
Auf einmal ſie ſich wandte,
Als ob ſie ſprechen wollt'.
Und als ich ſchauernd lauſchte —
Da war ich aufgewacht
Und unter mir ſchon rauſchte
So wunderbar die Nacht.
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[450/0468] Zauberblick. Die Burg die liegt verfallen In ſchoͤner Einſamkeit, Dort ſaß ich vor den Hallen Bei ſtiller Mittagszeit. Es ruhten in der Kuͤhle Die Rehe auf dem Wall Und tief in blauer Schwuͤle Die ſonn'gen Thaͤler all. Tief unten hoͤrt' ich Glocken In weiter Ferne geh'n, Ich aber mußt erſchrocken Zum alten Erker ſeh'n. Denn in dem Fenſterbogen Ein' ſchoͤne Fraue ſtand, Als huͤtete ſie droben Die Waͤlder und das Land. Ihr Haar, wie'n gold'ner Mantel, War tief herabgerollt; Auf einmal ſie ſich wandte, Als ob ſie ſprechen wollt'. Und als ich ſchauernd lauſchte — Da war ich aufgewacht Und unter mir ſchon rauſchte So wunderbar die Nacht.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Berlin, 1837, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gedichte_1837/468>, abgerufen am 29.03.2024.