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Eichendorff, Joseph von: Die Glücksritter. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 87–159. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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während die Thäler schon dunkelten, auch der Pfau steckte jetzt den Kopf unter die Flügel zum Schlaf, die Luft kam über den Garten und brachte den Schall einer Abendglocke aus weiter Ferne. Da fiel dem Klarinett in dieser Abgeschiedenheit eine Sage ein, die er unten in den Dörfern gehört, und da das Fräulein sie wissen wollte, erzählte er von einem verzauberten Schlosse des Grafen Gerold, da wüchse auch das Gras aus den Steinen, da sänge kein Vogel ringsum, und kein Fenster werde jemals geöffnet, man höre nichts als den Wetterhahn sich drehn und den Zugwind flüstern und zuweilen bei großer Trockne das Getäfel krachen im Schloß, so stünd' es öde seit hundert Jahren, als redet' es mit geschlossenen Augen im Traum. -- Jetzt hatte er die Zither in Ordnung gebracht. -- Es giebt auch eine Weise darauf, sagte er und sang:

Doch manchmal in Sommertagen
Durch die schwüle Einsamkeit
Hört man Mittags die Thurmuhr schlagen,
Wie aus einer fremden Zeit.
Und ein Schiffer zu dieser Stunde
Sah einst eine schöne Frau
Vom Erker schau'n zum Grunde --
Er ruderte schneller vor Grau'n.
Sie schüttelt' die dunkeln Locken
Aus ihrem Angesicht:

während die Thäler schon dunkelten, auch der Pfau steckte jetzt den Kopf unter die Flügel zum Schlaf, die Luft kam über den Garten und brachte den Schall einer Abendglocke aus weiter Ferne. Da fiel dem Klarinett in dieser Abgeschiedenheit eine Sage ein, die er unten in den Dörfern gehört, und da das Fräulein sie wissen wollte, erzählte er von einem verzauberten Schlosse des Grafen Gerold, da wüchse auch das Gras aus den Steinen, da sänge kein Vogel ringsum, und kein Fenster werde jemals geöffnet, man höre nichts als den Wetterhahn sich drehn und den Zugwind flüstern und zuweilen bei großer Trockne das Getäfel krachen im Schloß, so stünd' es öde seit hundert Jahren, als redet' es mit geschlossenen Augen im Traum. — Jetzt hatte er die Zither in Ordnung gebracht. — Es giebt auch eine Weise darauf, sagte er und sang:

Doch manchmal in Sommertagen
Durch die schwüle Einsamkeit
Hört man Mittags die Thurmuhr schlagen,
Wie aus einer fremden Zeit.
Und ein Schiffer zu dieser Stunde
Sah einst eine schöne Frau
Vom Erker schau'n zum Grunde —
Er ruderte schneller vor Grau'n.
Sie schüttelt' die dunkeln Locken
Aus ihrem Angesicht:
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[0050] während die Thäler schon dunkelten, auch der Pfau steckte jetzt den Kopf unter die Flügel zum Schlaf, die Luft kam über den Garten und brachte den Schall einer Abendglocke aus weiter Ferne. Da fiel dem Klarinett in dieser Abgeschiedenheit eine Sage ein, die er unten in den Dörfern gehört, und da das Fräulein sie wissen wollte, erzählte er von einem verzauberten Schlosse des Grafen Gerold, da wüchse auch das Gras aus den Steinen, da sänge kein Vogel ringsum, und kein Fenster werde jemals geöffnet, man höre nichts als den Wetterhahn sich drehn und den Zugwind flüstern und zuweilen bei großer Trockne das Getäfel krachen im Schloß, so stünd' es öde seit hundert Jahren, als redet' es mit geschlossenen Augen im Traum. — Jetzt hatte er die Zither in Ordnung gebracht. — Es giebt auch eine Weise darauf, sagte er und sang: Doch manchmal in Sommertagen Durch die schwüle Einsamkeit Hört man Mittags die Thurmuhr schlagen, Wie aus einer fremden Zeit. Und ein Schiffer zu dieser Stunde Sah einst eine schöne Frau Vom Erker schau'n zum Grunde — Er ruderte schneller vor Grau'n. Sie schüttelt' die dunkeln Locken Aus ihrem Angesicht:

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:27:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:27:42Z)

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Die Glücksritter. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 87–159. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_gluecksritter_1910/50>, abgerufen am 28.03.2024.