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Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.

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des stili insonderheit.
beständig heissen. Dieser unaufhörliche wech-
sel wird dennoch an der zeit als an einem maß-
stabe abgemessen, dannenhero sind einige auf
die gedancken gerathen, ob nicht vielleicht die
zeit, die grosse zeuge mutter so vieler unbestän-
digkeiten, könne genennet werden. Hat nun
der beständige unbestand solche würckungen
herfürgebracht, welche denen neigungen der
menschen wohlgefallen, so ist man bemühet ge-
wesen, guldne zeiten zu erdichten und also de-
nen iahren und tagen zuzuschreiben, wozu man
billich andere ursachen hätte suchen sollen.
Sind hingegen verdrüßliche zufälle aufgestos-
sen, welche den verhoften honig mit wermuth
vermischet, so hat man die zeiten angeklagt, da
man vielmehr seine eigne verrichtungen hätte
besser oder klüger einrichten können. Eine
würckung dieses vorurtheils ist es, daß man im-
mer sich mit der hofnung besserer zeiten ge-
schmeichelt, und dabey die gelegenheit versäu-
met, die ursachen seines eigenen elendes zu
heben und seine wohlfahrt auf bessern grunde
zu setzen. Denn die süsse hoffnung pflegt
mehrentheils auch die wachsamsten gemüther
einzuschläffern, biß der gift zu weit um sich ge-
griffen und der gegengift zu spät ankommen.
Die zeit ändert sich niemahls, aber wer in der
zeit lebt und der zeit ihre benennungen mitthei-
let, ändert sich unaufhörlich. Also solte man
nicht die güldnen zeiten der vorfahren wiede-
rum zu erleben wünschen, sondern daß ihre tu-

genden

des ſtili inſonderheit.
beſtaͤndig heiſſen. Dieſer unaufhoͤrliche wech-
ſel wird dennoch an der zeit als an einem maß-
ſtabe abgemeſſen, dannenhero ſind einige auf
die gedancken gerathen, ob nicht vielleicht die
zeit, die groſſe zeuge mutter ſo vieler unbeſtaͤn-
digkeiten, koͤnne genennet werden. Hat nun
der beſtaͤndige unbeſtand ſolche wuͤrckungen
herfuͤrgebracht, welche denen neigungen der
menſchen wohlgefallen, ſo iſt man bemuͤhet ge-
weſen, guldne zeiten zu erdichten und alſo de-
nen iahren und tagen zuzuſchreiben, wozu man
billich andere urſachen haͤtte ſuchen ſollen.
Sind hingegen verdruͤßliche zufaͤlle aufgeſtoſ-
ſen, welche den verhoften honig mit wermuth
vermiſchet, ſo hat man die zeiten angeklagt, da
man vielmehr ſeine eigne verrichtungen haͤtte
beſſer oder kluͤger einrichten koͤnnen. Eine
wuͤrckung dieſes vorurtheils iſt es, daß man im-
mer ſich mit der hofnung beſſerer zeiten ge-
ſchmeichelt, und dabey die gelegenheit verſaͤu-
met, die urſachen ſeines eigenen elendes zu
heben und ſeine wohlfahrt auf beſſern grunde
zu ſetzen. Denn die ſuͤſſe hoffnung pflegt
mehrentheils auch die wachſamſten gemuͤther
einzuſchlaͤffern, biß der gift zu weit um ſich ge-
griffen und der gegengift zu ſpaͤt ankommen.
Die zeit aͤndert ſich niemahls, aber wer in der
zeit lebt und der zeit ihre benennungen mitthei-
let, aͤndert ſich unaufhoͤrlich. Alſo ſolte man
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rum zu erleben wuͤnſchen, ſondern daß ihre tu-

genden
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[251/0269] des ſtili inſonderheit. beſtaͤndig heiſſen. Dieſer unaufhoͤrliche wech- ſel wird dennoch an der zeit als an einem maß- ſtabe abgemeſſen, dannenhero ſind einige auf die gedancken gerathen, ob nicht vielleicht die zeit, die groſſe zeuge mutter ſo vieler unbeſtaͤn- digkeiten, koͤnne genennet werden. Hat nun der beſtaͤndige unbeſtand ſolche wuͤrckungen herfuͤrgebracht, welche denen neigungen der menſchen wohlgefallen, ſo iſt man bemuͤhet ge- weſen, guldne zeiten zu erdichten und alſo de- nen iahren und tagen zuzuſchreiben, wozu man billich andere urſachen haͤtte ſuchen ſollen. Sind hingegen verdruͤßliche zufaͤlle aufgeſtoſ- ſen, welche den verhoften honig mit wermuth vermiſchet, ſo hat man die zeiten angeklagt, da man vielmehr ſeine eigne verrichtungen haͤtte beſſer oder kluͤger einrichten koͤnnen. Eine wuͤrckung dieſes vorurtheils iſt es, daß man im- mer ſich mit der hofnung beſſerer zeiten ge- ſchmeichelt, und dabey die gelegenheit verſaͤu- met, die urſachen ſeines eigenen elendes zu heben und ſeine wohlfahrt auf beſſern grunde zu ſetzen. Denn die ſuͤſſe hoffnung pflegt mehrentheils auch die wachſamſten gemuͤther einzuſchlaͤffern, biß der gift zu weit um ſich ge- griffen und der gegengift zu ſpaͤt ankommen. Die zeit aͤndert ſich niemahls, aber wer in der zeit lebt und der zeit ihre benennungen mitthei- let, aͤndert ſich unaufhoͤrlich. Alſo ſolte man nicht die guͤldnen zeiten der vorfahren wiede- rum zu erleben wuͤnſchen, ſondern daß ihre tu- genden

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Zitationshilfe: Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/269>, abgerufen am 25.04.2024.