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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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III. Die Neuzeit.
in Deutschland allein, die lateinische Sprache zur Schriftsprache
geworden war, wie die humanistisch-antike Bildung auf den
Pfaden, die ihr das Christenthum geebnet hatte, sich aller nach
Civilisation strebenden Classen der Gesellschaft wenigstens äußer-
lich bemächtigt hatte, so war auch in gewissem Sinne die äußere
Erscheinung dieser Welt eine griechisch-römische geworden. Aber
freilich nur in gewissem Sinne: denn es waren nur die todten
Formen, der antike Geist war aus ihnen gewichen. Ueber den
kurzen und engen deutschen Rock hatte die lange und weite, fal-
tig gegürtete Tunica den Sieg davon getragen: sie war bei
Mann und Frau das Hauptkleid geworden. Der Mantel, von
hinten herumgelegt und vorn auf der Brust mit einer Agraffe
befestigt, glich dem Pallium. Die langen deutschen Locken waren
gefallen; der deutsche Kopf trug nach römischer Sitte das "schön
gekürzte" Haar und zeigte ein völlig bartloses Gesicht. Aber diese
Erscheinung war weit davon entfernt, den befriedigenden Ein-
druck plastischer Schönheit zu machen wie griechisch-römische Ge-
stalten; Stoff und Schnitt und der prunkende, aber roh geformte
Goldbesatz verhinderten in gleicher Weise Größe und Würde wie
Reiz und Anmuth. Die Menschen verstanden es noch nicht, sich
zu tragen und die Schönheit der Gewandung oder des Wuchses
gefällig ins Licht treten zu lassen.

In der Zeit der Ottonen schien durch den Einfluß der ita-
lischen Adelheid und der griechischen Theophanie, sowie durch
den Cultus des jungen Otto III. für das classische Rom die
Herrschaft antiker Civilisation fest begründet zu werden, aber
kaum ist sie auf diesem Punkte angekommen, wo sie befruchtend
zu wirken beginnt, so schießt aus der innigeren Verschmelzung
der germanischen und antik-christlichen Elemente das neue, selbst-
eigene Leben der mittelalterlichen Welt in Jugendfrische und zu
originaler Schönheit empor. Die Kunst wie die Poesie streifen
das classische Element ab und umbilden die neue und eigenthüm-
liche Ideenwelt, den neuen Geist mit neuen Formen. So ent-
äußert sich auch das Costüm des römischen Scheines. Zwar ist
es die alte Tunica, welche den Mann und die Frau bedeckt, und

III. Die Neuzeit.
in Deutſchland allein, die lateiniſche Sprache zur Schriftſprache
geworden war, wie die humaniſtiſch-antike Bildung auf den
Pfaden, die ihr das Chriſtenthum geebnet hatte, ſich aller nach
Civiliſation ſtrebenden Claſſen der Geſellſchaft wenigſtens äußer-
lich bemächtigt hatte, ſo war auch in gewiſſem Sinne die äußere
Erſcheinung dieſer Welt eine griechiſch-römiſche geworden. Aber
freilich nur in gewiſſem Sinne: denn es waren nur die todten
Formen, der antike Geiſt war aus ihnen gewichen. Ueber den
kurzen und engen deutſchen Rock hatte die lange und weite, fal-
tig gegürtete Tunica den Sieg davon getragen: ſie war bei
Mann und Frau das Hauptkleid geworden. Der Mantel, von
hinten herumgelegt und vorn auf der Bruſt mit einer Agraffe
befeſtigt, glich dem Pallium. Die langen deutſchen Locken waren
gefallen; der deutſche Kopf trug nach römiſcher Sitte das „ſchön
gekürzte“ Haar und zeigte ein völlig bartloſes Geſicht. Aber dieſe
Erſcheinung war weit davon entfernt, den befriedigenden Ein-
druck plaſtiſcher Schönheit zu machen wie griechiſch-römiſche Ge-
ſtalten; Stoff und Schnitt und der prunkende, aber roh geformte
Goldbeſatz verhinderten in gleicher Weiſe Größe und Würde wie
Reiz und Anmuth. Die Menſchen verſtanden es noch nicht, ſich
zu tragen und die Schönheit der Gewandung oder des Wuchſes
gefällig ins Licht treten zu laſſen.

In der Zeit der Ottonen ſchien durch den Einfluß der ita-
liſchen Adelheid und der griechiſchen Theophanie, ſowie durch
den Cultus des jungen Otto III. für das claſſiſche Rom die
Herrſchaft antiker Civiliſation feſt begründet zu werden, aber
kaum iſt ſie auf dieſem Punkte angekommen, wo ſie befruchtend
zu wirken beginnt, ſo ſchießt aus der innigeren Verſchmelzung
der germaniſchen und antik-chriſtlichen Elemente das neue, ſelbſt-
eigene Leben der mittelalterlichen Welt in Jugendfriſche und zu
originaler Schönheit empor. Die Kunſt wie die Poeſie ſtreifen
das claſſiſche Element ab und umbilden die neue und eigenthüm-
liche Ideenwelt, den neuen Geiſt mit neuen Formen. So ent-
äußert ſich auch das Coſtüm des römiſchen Scheines. Zwar iſt
es die alte Tunica, welche den Mann und die Frau bedeckt, und

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[2/0014] III. Die Neuzeit. in Deutſchland allein, die lateiniſche Sprache zur Schriftſprache geworden war, wie die humaniſtiſch-antike Bildung auf den Pfaden, die ihr das Chriſtenthum geebnet hatte, ſich aller nach Civiliſation ſtrebenden Claſſen der Geſellſchaft wenigſtens äußer- lich bemächtigt hatte, ſo war auch in gewiſſem Sinne die äußere Erſcheinung dieſer Welt eine griechiſch-römiſche geworden. Aber freilich nur in gewiſſem Sinne: denn es waren nur die todten Formen, der antike Geiſt war aus ihnen gewichen. Ueber den kurzen und engen deutſchen Rock hatte die lange und weite, fal- tig gegürtete Tunica den Sieg davon getragen: ſie war bei Mann und Frau das Hauptkleid geworden. Der Mantel, von hinten herumgelegt und vorn auf der Bruſt mit einer Agraffe befeſtigt, glich dem Pallium. Die langen deutſchen Locken waren gefallen; der deutſche Kopf trug nach römiſcher Sitte das „ſchön gekürzte“ Haar und zeigte ein völlig bartloſes Geſicht. Aber dieſe Erſcheinung war weit davon entfernt, den befriedigenden Ein- druck plaſtiſcher Schönheit zu machen wie griechiſch-römiſche Ge- ſtalten; Stoff und Schnitt und der prunkende, aber roh geformte Goldbeſatz verhinderten in gleicher Weiſe Größe und Würde wie Reiz und Anmuth. Die Menſchen verſtanden es noch nicht, ſich zu tragen und die Schönheit der Gewandung oder des Wuchſes gefällig ins Licht treten zu laſſen. In der Zeit der Ottonen ſchien durch den Einfluß der ita- liſchen Adelheid und der griechiſchen Theophanie, ſowie durch den Cultus des jungen Otto III. für das claſſiſche Rom die Herrſchaft antiker Civiliſation feſt begründet zu werden, aber kaum iſt ſie auf dieſem Punkte angekommen, wo ſie befruchtend zu wirken beginnt, ſo ſchießt aus der innigeren Verſchmelzung der germaniſchen und antik-chriſtlichen Elemente das neue, ſelbſt- eigene Leben der mittelalterlichen Welt in Jugendfriſche und zu originaler Schönheit empor. Die Kunſt wie die Poeſie ſtreifen das claſſiſche Element ab und umbilden die neue und eigenthüm- liche Ideenwelt, den neuen Geiſt mit neuen Formen. So ent- äußert ſich auch das Coſtüm des römiſchen Scheines. Zwar iſt es die alte Tunica, welche den Mann und die Frau bedeckt, und

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/14>, abgerufen am 23.04.2024.