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Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

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seinem anmuthigen Gespräche vornehmen und gelehrten Leuten die Zeit zu pas-
si
ren wüste. Als Harpocrates dieses vernahm, zog er die Schultern ein, und
gab damit zu verstehen, daß er nicht reden könne. Apollo deutete ihm noch-
malen an, das Stillschweigen bey Seite zu setzen, und mit einem guten Dis-
curs
sich heraus zu lassen. Harpocrates aber kehrte sich nicht daran, schwiege
vor wie nach, und logte einen Finger auf den Mund; worüber sich dann Apol-
lo
etwas alterirte und ihm mit Ernst anbefahl kurtz um zu reden. Da näherte
sich Harpocrates dem Apollini, und sagte ihm heimlich in das Ohr; Es wä-
re die heutige Welt so verdorben und verkehret, daß diejenigen billig
vor die Klügsten und Verständigsten zu halten, die da mit denen Au-
gen alles sehen, mit ihrem Verstande alles b[e]urtheilen; mit dem Mun-
de aber darüber stille schweigen könten.
Diese Antwort verdrosse den
Apollinem noch hefftiger, dergestalt, daß er sich gegen die Umstehende wandte,
mit Vermelden, er sähe nunmehro wohl, daß andem Harpocrate nicht
viel besonders seye.
Apollo befahl ihm derohalben auch sich zu trollen, oder
fortzupacken, weil er nicht in den Parnassum gehöre, sondern einer von denen
Püffeln wäre, deren sich heutiges Tages eine grosse Menge befände, welche
unter dem Schein des Stillschweigens ihre grosse Unwissenheit verbergen und
zudecken wolten.

In folgender Relation stecket eine grosse Staats Lehre vor
alle diejenigen Räthe, welche ihrem Fürsten rathen, auf
weitläufftige Conqueten zu gedencken, und wann er
sich auch die gantze Welt unterthänig
machen könte.

DIe Durchlauchtige Monarchie derer Römer, so hiebevor, ehe sie von de-
nen Barbarischen mitternächtigen Völckern unterdrücket worden, am
Hofe des Apollinis eine solche Autoritaet und Ansehen gehabt, zu dergleichen
kein anderer Stand jemalen hat gelangen können, verfügte sich vor etlichen Ta-
gen, unterm Schein als ob sie auf die Jagd ziehen wolte, zum Cornelio Taci-
to,
welcher, sich zu erlustieren, auf sein Land-Guth verreiset war. Demsel-
ben zeigte sie an, wie sie zu ihm käme, sich Naths bey ihm zu erholen, wegen
einer politischen Frage, über welcher sie allbereit unterschiedene vornehme Po-

liti-

ſeinem anmuthigen Geſpraͤche vornehmen und gelehrten Leuten die Zeit zu pas-
ſi
ren wuͤſte. Als Harpocrates dieſes vernahm, zog er die Schultern ein, und
gab damit zu verſtehen, daß er nicht reden koͤnne. Apollo deutete ihm noch-
malen an, das Stillſchweigen bey Seite zu ſetzen, und mit einem guten Dis-
curs
ſich heraus zu laſſen. Harpocrates aber kehrte ſich nicht daran, ſchwiege
vor wie nach, und logte einen Finger auf den Mund; woruͤber ſich dann Apol-
lo
etwas alterirte und ihm mit Ernſt anbefahl kurtz um zu reden. Da naͤherte
ſich Harpocrates dem Apollini, und ſagte ihm heimlich in das Ohr; Es waͤ-
re die heutige Welt ſo verdorben und verkehret, daß diejenigen billig
vor die Kluͤgſten und Verſtaͤndigſten zu halten, die da mit denen Au-
gen alles ſehen, mit ihrem Verſtande alles b[e]urtheilen; mit dem Mun-
de aber daruͤber ſtille ſchweigen koͤnten.
Dieſe Antwort verdroſſe den
Apollinem noch hefftiger, dergeſtalt, daß er ſich gegen die Umſtehende wandte,
mit Vermelden, er ſaͤhe nunmehro wohl, daß andem Harpocrate nicht
viel beſonders ſeye.
Apollo befahl ihm derohalben auch ſich zu trollen, oder
fortzupacken, weil er nicht in den Parnaſſum gehoͤre, ſondern einer von denen
Puͤffeln waͤre, deren ſich heutiges Tages eine groſſe Menge befaͤnde, welche
unter dem Schein des Stillſchweigens ihre groſſe Unwiſſenheit verbergen und
zudecken wolten.

In folgender Relation ſtecket eine groſſe Staats Lehre vor
alle diejenigen Raͤthe, welche ihrem Fuͤrſten rathen, auf
weitlaͤufftige Conqueten zu gedencken, und wann er
ſich auch die gantze Welt unterthaͤnig
machen koͤnte.

DIe Durchlauchtige Monarchie derer Roͤmer, ſo hiebevor, ehe ſie von de-
nen Barbariſchen mitternaͤchtigen Voͤlckern unterdruͤcket worden, am
Hofe des Apollinis eine ſolche Autoritæt und Anſehen gehabt, zu dergleichen
kein anderer Stand jemalen hat gelangen koͤnnen, verfuͤgte ſich vor etlichen Ta-
gen, unterm Schein als ob ſie auf die Jagd ziehen wolte, zum Cornelio Taci-
to,
welcher, ſich zu erluſtieren, auf ſein Land-Guth verreiſet war. Demſel-
ben zeigte ſie an, wie ſie zu ihm kaͤme, ſich Naths bey ihm zu erholen, wegen
einer politiſchen Frage, uͤber welcher ſie allbereit unterſchiedene vornehme Po-

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[143/0187] ſeinem anmuthigen Geſpraͤche vornehmen und gelehrten Leuten die Zeit zu pas- ſiren wuͤſte. Als Harpocrates dieſes vernahm, zog er die Schultern ein, und gab damit zu verſtehen, daß er nicht reden koͤnne. Apollo deutete ihm noch- malen an, das Stillſchweigen bey Seite zu ſetzen, und mit einem guten Dis- curs ſich heraus zu laſſen. Harpocrates aber kehrte ſich nicht daran, ſchwiege vor wie nach, und logte einen Finger auf den Mund; woruͤber ſich dann Apol- lo etwas alterirte und ihm mit Ernſt anbefahl kurtz um zu reden. Da naͤherte ſich Harpocrates dem Apollini, und ſagte ihm heimlich in das Ohr; Es waͤ- re die heutige Welt ſo verdorben und verkehret, daß diejenigen billig vor die Kluͤgſten und Verſtaͤndigſten zu halten, die da mit denen Au- gen alles ſehen, mit ihrem Verſtande alles beurtheilen; mit dem Mun- de aber daruͤber ſtille ſchweigen koͤnten. Dieſe Antwort verdroſſe den Apollinem noch hefftiger, dergeſtalt, daß er ſich gegen die Umſtehende wandte, mit Vermelden, er ſaͤhe nunmehro wohl, daß andem Harpocrate nicht viel beſonders ſeye. Apollo befahl ihm derohalben auch ſich zu trollen, oder fortzupacken, weil er nicht in den Parnaſſum gehoͤre, ſondern einer von denen Puͤffeln waͤre, deren ſich heutiges Tages eine groſſe Menge befaͤnde, welche unter dem Schein des Stillſchweigens ihre groſſe Unwiſſenheit verbergen und zudecken wolten. In folgender Relation ſtecket eine groſſe Staats Lehre vor alle diejenigen Raͤthe, welche ihrem Fuͤrſten rathen, auf weitlaͤufftige Conqueten zu gedencken, und wann er ſich auch die gantze Welt unterthaͤnig machen koͤnte. DIe Durchlauchtige Monarchie derer Roͤmer, ſo hiebevor, ehe ſie von de- nen Barbariſchen mitternaͤchtigen Voͤlckern unterdruͤcket worden, am Hofe des Apollinis eine ſolche Autoritæt und Anſehen gehabt, zu dergleichen kein anderer Stand jemalen hat gelangen koͤnnen, verfuͤgte ſich vor etlichen Ta- gen, unterm Schein als ob ſie auf die Jagd ziehen wolte, zum Cornelio Taci- to, welcher, ſich zu erluſtieren, auf ſein Land-Guth verreiſet war. Demſel- ben zeigte ſie an, wie ſie zu ihm kaͤme, ſich Naths bey ihm zu erholen, wegen einer politiſchen Frage, uͤber welcher ſie allbereit unterſchiedene vornehme Po- liti-

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Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/187>, abgerufen am 24.04.2024.