Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite
Funfzehnter Brief.


Ich gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter-
suchung.

Was die öffentliche Kultur betrifft, so war
es ohnstreitig zweckmäßig, da zu ihr ein jeder, so
weit er derselben empfänglich ist, den möglichst
leichtesten Zutritt haben soll, daß sie in bleiben-
den Denkmählern
niedergelegt wurde, nach-
dem nur die Kunst erfunden war, den vorüber-
fliehenden Gedanken und dem flüchtigen Worte
Dauer und Sichtbarkeit für das Auge zu geben.
Zu der geheimen Kultur aber soll, zu Folge
ihres Wesens, nicht jedermann, sondern nur der-
jenige, der durch die öffentliche schon durchgegan-
gen und durch sie schon möglichst vollendet ist, den
Zutritt haben. -- Die geheime Kultur kann, wie
es durch alles Gesagte klar ist, der öffentlichen
nicht vorausgehen, sie selbst setzt vielmehr die
öffentliche voraus; sie kann eben so wenig ihr zur
Seite gehen
, ohne daß die Zwecke beider ver-
eitelt werden; sie kann ihr lediglich folgen.

Nun aber kann man -- laß mich diesen Punkt
immer sorgfältiger auseinandersetzen -- zu dem
eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein-
menschlichen Bildung, welche mein sechster Brief
Dir in einem schwachen Abrisse vor Augen stellte,
auf zwei Wegen gelangen: entweder für sich
allein
, durch Talent, tiefes Nachdenken und Er-

Zweites Bändch. D
Funfzehnter Brief.


Ich gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter-
ſuchung.

Was die oͤffentliche Kultur betrifft, ſo war
es ohnſtreitig zweckmaͤßig, da zu ihr ein jeder, ſo
weit er derſelben empfaͤnglich iſt, den moͤglichſt
leichteſten Zutritt haben ſoll, daß ſie in bleiben-
den Denkmaͤhlern
niedergelegt wurde, nach-
dem nur die Kunſt erfunden war, den voruͤber-
fliehenden Gedanken und dem fluͤchtigen Worte
Dauer und Sichtbarkeit fuͤr das Auge zu geben.
Zu der geheimen Kultur aber ſoll, zu Folge
ihres Weſens, nicht jedermann, ſondern nur der-
jenige, der durch die oͤffentliche ſchon durchgegan-
gen und durch ſie ſchon moͤglichſt vollendet iſt, den
Zutritt haben. — Die geheime Kultur kann, wie
es durch alles Geſagte klar iſt, der oͤffentlichen
nicht vorausgehen, ſie ſelbſt ſetzt vielmehr die
oͤffentliche voraus; ſie kann eben ſo wenig ihr zur
Seite gehen
, ohne daß die Zwecke beider ver-
eitelt werden; ſie kann ihr lediglich folgen.

Nun aber kann man — laß mich dieſen Punkt
immer ſorgfaͤltiger auseinanderſetzen — zu dem
eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein-
menſchlichen Bildung, welche mein ſechſter Brief
Dir in einem ſchwachen Abriſſe vor Augen ſtellte,
auf zwei Wegen gelangen: entweder fuͤr ſich
allein
, durch Talent, tiefes Nachdenken und Er-

Zweites Baͤndch. D
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0071" n="49"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Funfzehnter Brief</hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter-<lb/>
&#x017F;uchung.</p><lb/>
          <p>Was die <hi rendition="#g">o&#x0364;ffentliche</hi> Kultur betrifft, &#x017F;o war<lb/>
es ohn&#x017F;treitig zweckma&#x0364;ßig, da zu ihr ein jeder, &#x017F;o<lb/>
weit er der&#x017F;elben empfa&#x0364;nglich i&#x017F;t, den mo&#x0364;glich&#x017F;t<lb/>
leichte&#x017F;ten Zutritt haben &#x017F;oll, daß &#x017F;ie in <hi rendition="#g">bleiben-<lb/>
den Denkma&#x0364;hlern</hi> niedergelegt wurde, nach-<lb/>
dem nur die Kun&#x017F;t erfunden war, den voru&#x0364;ber-<lb/>
fliehenden Gedanken und dem flu&#x0364;chtigen Worte<lb/>
Dauer und Sichtbarkeit fu&#x0364;r das Auge zu geben.<lb/>
Zu der <hi rendition="#g">geheimen</hi> Kultur aber &#x017F;oll, zu Folge<lb/>
ihres We&#x017F;ens, nicht jedermann, &#x017F;ondern nur der-<lb/>
jenige, der durch die o&#x0364;ffentliche &#x017F;chon durchgegan-<lb/>
gen und durch &#x017F;ie &#x017F;chon mo&#x0364;glich&#x017F;t vollendet i&#x017F;t, den<lb/>
Zutritt haben. &#x2014; Die geheime Kultur kann, wie<lb/>
es durch alles Ge&#x017F;agte klar i&#x017F;t, der o&#x0364;ffentlichen<lb/><hi rendition="#g">nicht vorausgehen</hi>, &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;etzt vielmehr die<lb/>
o&#x0364;ffentliche voraus; &#x017F;ie kann eben &#x017F;o wenig ihr <hi rendition="#g">zur<lb/>
Seite gehen</hi>, ohne daß die Zwecke beider ver-<lb/>
eitelt werden; &#x017F;ie kann ihr lediglich <hi rendition="#g">folgen</hi>.</p><lb/>
          <p>Nun aber kann man &#x2014; laß mich die&#x017F;en Punkt<lb/>
immer &#x017F;orgfa&#x0364;ltiger auseinander&#x017F;etzen &#x2014; zu dem<lb/>
eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein-<lb/>
men&#x017F;chlichen Bildung, welche mein &#x017F;ech&#x017F;ter Brief<lb/>
Dir in einem &#x017F;chwachen Abri&#x017F;&#x017F;e vor Augen &#x017F;tellte,<lb/>
auf zwei Wegen gelangen: entweder <hi rendition="#g">fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
allein</hi>, durch Talent, tiefes Nachdenken und Er-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Zweites Ba&#x0364;ndch. D</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0071] Funfzehnter Brief. Ich gehe ohne weiteres zu der folgenden Unter- ſuchung. Was die oͤffentliche Kultur betrifft, ſo war es ohnſtreitig zweckmaͤßig, da zu ihr ein jeder, ſo weit er derſelben empfaͤnglich iſt, den moͤglichſt leichteſten Zutritt haben ſoll, daß ſie in bleiben- den Denkmaͤhlern niedergelegt wurde, nach- dem nur die Kunſt erfunden war, den voruͤber- fliehenden Gedanken und dem fluͤchtigen Worte Dauer und Sichtbarkeit fuͤr das Auge zu geben. Zu der geheimen Kultur aber ſoll, zu Folge ihres Weſens, nicht jedermann, ſondern nur der- jenige, der durch die oͤffentliche ſchon durchgegan- gen und durch ſie ſchon moͤglichſt vollendet iſt, den Zutritt haben. — Die geheime Kultur kann, wie es durch alles Geſagte klar iſt, der oͤffentlichen nicht vorausgehen, ſie ſelbſt ſetzt vielmehr die oͤffentliche voraus; ſie kann eben ſo wenig ihr zur Seite gehen, ohne daß die Zwecke beider ver- eitelt werden; ſie kann ihr lediglich folgen. Nun aber kann man — laß mich dieſen Punkt immer ſorgfaͤltiger auseinanderſetzen — zu dem eigentlichen Ziele aller geheimen Kultur, der rein- menſchlichen Bildung, welche mein ſechſter Brief Dir in einem ſchwachen Abriſſe vor Augen ſtellte, auf zwei Wegen gelangen: entweder fuͤr ſich allein, durch Talent, tiefes Nachdenken und Er- Zweites Baͤndch. D

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/71
Zitationshilfe: [Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/71>, abgerufen am 29.03.2024.