Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
Anhang.

Anmerkungen und Beweisstellen*).

Gott als Gott ist das objective Wesen der Ver-
nunft oder des Verstandes, Gott als Mensch, als
Gegenstand der Religion, ist das objective Wesen des
Herzens oder Gemüthes
. Verstand und Herz oder Ge-
müth -- als identisch mit dem Herzen gedacht -- unterschei-
den sich aber also. Die Vernunft ist das Selbstgefühl der
Gattung als solcher; das Gemüth das Selbstgefühl der Indi-
vidualität. Das Herz ist die Liebe des Menschen zu den
Seinigen, die Vernunft die Liebe des Menschen zur Gattung,
die Vernunft ist der Mensch im Allgemeinen, das Herz der
Mensch in specie, das Herz ein nur persönliches, die Ver-
nunft ein dingliches Vermögen, das Herz vertritt die
Person, die Vernunft die Sache. Ich bin -- ist Sache
des Herzens; Ich denke -- Sache des Kopfes. Cogito
ergo sum?
Nein! sentio ergo sum. Fühlen nur ist mein
Sein
, Denken ist mein Nichtsein, Denken die Position der
Gattung, die Vernunft das Nichts der Persönlichkeit. Den-
ken ist ein geistiger Selbstbegattungsact, der populäre Beweis
ist die Sprache. Sprechen ist eine gegenseitige Befruchtung,

*) Die griechischen Stellen wurden zur Erleichterung des Drucks
und der Correctur in der deutschen oder lateinischen Uebersetzung ge-
geben.
Anhang.

Anmerkungen und Beweisſtellen*).

Gott als Gott iſt das objective Weſen der Ver-
nunft oder des Verſtandes, Gott als Menſch, als
Gegenſtand der Religion, iſt das objective Weſen des
Herzens oder Gemüthes
. Verſtand und Herz oder Ge-
müth — als identiſch mit dem Herzen gedacht — unterſchei-
den ſich aber alſo. Die Vernunft iſt das Selbſtgefühl der
Gattung als ſolcher; das Gemüth das Selbſtgefühl der Indi-
vidualität. Das Herz iſt die Liebe des Menſchen zu den
Seinigen, die Vernunft die Liebe des Menſchen zur Gattung,
die Vernunft iſt der Menſch im Allgemeinen, das Herz der
Menſch in specie, das Herz ein nur perſönliches, die Ver-
nunft ein dingliches Vermögen, das Herz vertritt die
Perſon, die Vernunft die Sache. Ich bin — iſt Sache
des Herzens; Ich denke — Sache des Kopfes. Cogito
ergo sum?
Nein! sentio ergo sum. Fühlen nur iſt mein
Sein
, Denken iſt mein Nichtſein, Denken die Poſition der
Gattung, die Vernunft das Nichts der Perſönlichkeit. Den-
ken iſt ein geiſtiger Selbſtbegattungsact, der populäre Beweis
iſt die Sprache. Sprechen iſt eine gegenſeitige Befruchtung,

*) Die griechiſchen Stellen wurden zur Erleichterung des Drucks
und der Correctur in der deutſchen oder lateiniſchen Ueberſetzung ge-
geben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0399" n="[381]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Anhang</hi>.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Anmerkungen und Beweis&#x017F;tellen</hi> <note place="foot" n="*)">Die griechi&#x017F;chen Stellen wurden zur Erleichterung des Drucks<lb/>
und der Correctur in der deut&#x017F;chen oder lateini&#x017F;chen Ueber&#x017F;etzung ge-<lb/>
geben.</note> <hi rendition="#b">.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#g"><hi rendition="#in">G</hi>ott als Gott i&#x017F;t das objective We&#x017F;en der Ver-<lb/>
nunft oder des Ver&#x017F;tandes, Gott als Men&#x017F;ch, als<lb/>
Gegen&#x017F;tand der Religion, i&#x017F;t das objective We&#x017F;en des<lb/>
Herzens oder Gemüthes</hi>. Ver&#x017F;tand und Herz oder Ge-<lb/>
müth &#x2014; als identi&#x017F;ch mit dem Herzen gedacht &#x2014; unter&#x017F;chei-<lb/>
den &#x017F;ich aber al&#x017F;o. Die Vernunft i&#x017F;t das Selb&#x017F;tgefühl der<lb/>
Gattung als &#x017F;olcher; das Gemüth das Selb&#x017F;tgefühl der Indi-<lb/>
vidualität. Das Herz i&#x017F;t die Liebe des Men&#x017F;chen zu den<lb/>
Seinigen, die Vernunft die Liebe des Men&#x017F;chen zur Gattung,<lb/>
die Vernunft i&#x017F;t der Men&#x017F;ch im Allgemeinen, das Herz der<lb/>
Men&#x017F;ch <hi rendition="#aq">in specie,</hi> das Herz ein nur <hi rendition="#g">per&#x017F;önliches</hi>, die Ver-<lb/>
nunft ein <hi rendition="#g">dingliches</hi> Vermögen, das Herz vertritt die<lb/>
Per&#x017F;on, die Vernunft die Sache. <hi rendition="#g">Ich bin</hi> &#x2014; i&#x017F;t Sache<lb/>
des Herzens; <hi rendition="#g">Ich denke</hi> &#x2014; Sache des Kopfes. <hi rendition="#aq">Cogito<lb/>
ergo sum?</hi> Nein! <hi rendition="#aq">sentio ergo sum.</hi> Fühlen nur i&#x017F;t <hi rendition="#g">mein<lb/>
Sein</hi>, Denken i&#x017F;t mein <hi rendition="#g">Nicht&#x017F;ein</hi>, Denken die Po&#x017F;ition der<lb/>
Gattung, die Vernunft das Nichts der Per&#x017F;önlichkeit. Den-<lb/>
ken i&#x017F;t ein gei&#x017F;tiger Selb&#x017F;tbegattungsact, der populäre Beweis<lb/>
i&#x017F;t die Sprache. Sprechen i&#x017F;t eine gegen&#x017F;eitige Befruchtung,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[381]/0399] Anhang. Anmerkungen und Beweisſtellen *). Gott als Gott iſt das objective Weſen der Ver- nunft oder des Verſtandes, Gott als Menſch, als Gegenſtand der Religion, iſt das objective Weſen des Herzens oder Gemüthes. Verſtand und Herz oder Ge- müth — als identiſch mit dem Herzen gedacht — unterſchei- den ſich aber alſo. Die Vernunft iſt das Selbſtgefühl der Gattung als ſolcher; das Gemüth das Selbſtgefühl der Indi- vidualität. Das Herz iſt die Liebe des Menſchen zu den Seinigen, die Vernunft die Liebe des Menſchen zur Gattung, die Vernunft iſt der Menſch im Allgemeinen, das Herz der Menſch in specie, das Herz ein nur perſönliches, die Ver- nunft ein dingliches Vermögen, das Herz vertritt die Perſon, die Vernunft die Sache. Ich bin — iſt Sache des Herzens; Ich denke — Sache des Kopfes. Cogito ergo sum? Nein! sentio ergo sum. Fühlen nur iſt mein Sein, Denken iſt mein Nichtſein, Denken die Poſition der Gattung, die Vernunft das Nichts der Perſönlichkeit. Den- ken iſt ein geiſtiger Selbſtbegattungsact, der populäre Beweis iſt die Sprache. Sprechen iſt eine gegenſeitige Befruchtung, *) Die griechiſchen Stellen wurden zur Erleichterung des Drucks und der Correctur in der deutſchen oder lateiniſchen Ueberſetzung ge- geben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/399
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. [381]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/399>, abgerufen am 29.03.2024.