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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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sind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmli-
schen Lebens *)?

Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qua-
lität, der moralischen Beschaffenheit dieses Lebens ab, aber die
Moralität ist selbst bestimmt durch den Glauben an das ewige
Leben. Und diese dem überirdischen Leben entsprechende Mo-
ralität ist nur die Abkehr von dieser Welt, die Negation dieses
Lebens. Die sinnliche Bewährung dieser geistigen Abkehr aber
ist das klösterliche Leben. Alles muß sich zuletzt äußerlich,
sinnlich darstellen **). Was innere Gesinnung, muß sich prak-
tisch realisiren. Das klösterliche, überhaupt ascetische Leben
ist das himmlische Leben, wie es sich hienieden bewährt und
bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört,
warum soll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde ange-
hören? Die Seele animirt den Leib. Wenn aber die Seele
im Himmel ist, so ist der Leib verlassen, todt -- abgestorben
also das Medium, das Verbindungsglied zwischen der Welt
und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe,
wenigstens von diesem groben materiellen, sündhaften Leibe,
ist der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Be-
dingung der Seligkeit und moralischen Vollkommen-
heit
ist, so ist nothwendig die Abtödtung, die Mortification
das einzige Gesetz der Moral
. Der moralische Tod ist
die nothwendige Anticipation des natürlichen Todes --

*) Affectanti coelestia, terrena non sapiunt. Aeternis inhianti,
fastidio sunt transitoria. Bernhard. (Epist. Ex persona Heliae mo-
nachi ad parentes). Nihil nostra refert in hoc aevo, nisi de eo quam
celeriter excedere. Tertullian
. Apol. adv. Gentes. c. 41.
**) Ille perfectus est qui mente et corpore a saeculo est elon-
gatus. De modo bene vivendi ad Sororem. S. VII.
(Unter den
unächten Schriften Bernhards.)

ſind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmli-
ſchen Lebens *)?

Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qua-
lität, der moraliſchen Beſchaffenheit dieſes Lebens ab, aber die
Moralität iſt ſelbſt beſtimmt durch den Glauben an das ewige
Leben. Und dieſe dem überirdiſchen Leben entſprechende Mo-
ralität iſt nur die Abkehr von dieſer Welt, die Negation dieſes
Lebens. Die ſinnliche Bewährung dieſer geiſtigen Abkehr aber
iſt das klöſterliche Leben. Alles muß ſich zuletzt äußerlich,
ſinnlich darſtellen **). Was innere Geſinnung, muß ſich prak-
tiſch realiſiren. Das klöſterliche, überhaupt ascetiſche Leben
iſt das himmliſche Leben, wie es ſich hienieden bewährt und
bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört,
warum ſoll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde ange-
hören? Die Seele animirt den Leib. Wenn aber die Seele
im Himmel iſt, ſo iſt der Leib verlaſſen, todt — abgeſtorben
alſo das Medium, das Verbindungsglied zwiſchen der Welt
und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe,
wenigſtens von dieſem groben materiellen, ſündhaften Leibe,
iſt der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Be-
dingung der Seligkeit und moraliſchen Vollkommen-
heit
iſt, ſo iſt nothwendig die Abtödtung, die Mortification
das einzige Geſetz der Moral
. Der moraliſche Tod iſt
die nothwendige Anticipation des natürlichen Todes —

*) Affectanti coelestia, terrena non sapiunt. Aeternis inhianti,
fastidio sunt transitoria. Bernhard. (Epist. Ex persona Heliae mo-
nachi ad parentes). Nihil nostra refert in hoc aevo, nisi de eo quam
celeriter excedere. Tertullian
. Apol. adv. Gentes. c. 41.
**) Ille perfectus est qui mente et corpore a saeculo est elon-
gatus. De modo bene vivendi ad Sororem. S. VII.
(Unter den
unächten Schriften Bernhards.)
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[215/0233] ſind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmli- ſchen Lebens *)? Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qua- lität, der moraliſchen Beſchaffenheit dieſes Lebens ab, aber die Moralität iſt ſelbſt beſtimmt durch den Glauben an das ewige Leben. Und dieſe dem überirdiſchen Leben entſprechende Mo- ralität iſt nur die Abkehr von dieſer Welt, die Negation dieſes Lebens. Die ſinnliche Bewährung dieſer geiſtigen Abkehr aber iſt das klöſterliche Leben. Alles muß ſich zuletzt äußerlich, ſinnlich darſtellen **). Was innere Geſinnung, muß ſich prak- tiſch realiſiren. Das klöſterliche, überhaupt ascetiſche Leben iſt das himmliſche Leben, wie es ſich hienieden bewährt und bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört, warum ſoll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde ange- hören? Die Seele animirt den Leib. Wenn aber die Seele im Himmel iſt, ſo iſt der Leib verlaſſen, todt — abgeſtorben alſo das Medium, das Verbindungsglied zwiſchen der Welt und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe, wenigſtens von dieſem groben materiellen, ſündhaften Leibe, iſt der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Be- dingung der Seligkeit und moraliſchen Vollkommen- heit iſt, ſo iſt nothwendig die Abtödtung, die Mortification das einzige Geſetz der Moral. Der moraliſche Tod iſt die nothwendige Anticipation des natürlichen Todes — *) Affectanti coelestia, terrena non sapiunt. Aeternis inhianti, fastidio sunt transitoria. Bernhard. (Epist. Ex persona Heliae mo- nachi ad parentes). Nihil nostra refert in hoc aevo, nisi de eo quam celeriter excedere. Tertullian. Apol. adv. Gentes. c. 41. **) Ille perfectus est qui mente et corpore a saeculo est elon- gatus. De modo bene vivendi ad Sororem. S. VII. (Unter den unächten Schriften Bernhards.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/233>, abgerufen am 16.04.2024.