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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Seite gesetzt *); aber das zurückgesetzte Weib hat sich dafür
schwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mut-
ter Gottes gebraucht, haben sich gegen ihn selbst, gegen den
Sohn Gottes, gegen die gesammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer
einmal die Mutter Gottes dem Verstande aufopfert, hat nicht
mehr weit hin, auch das Mysterium des Sohnes Gottes als
einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomor-
phismus wird allerdings versteckt, indem das weibliche Wesen
ausgeschlossen wird, aber nur versteckt, nicht aufgehoben. Frei-
lich hatte der Protestantismus auch kein Bedürfniß nach einem
himmlischen Weibe, weil er das irdische Weib mit offnen
Armen in sein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er
auch so ehrlich und consequent sein sollen, mit der Mutter auch
den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdi-
schen Eltern hat, braucht himmlische Eltern. Der dreieinige
Gott ist der Gott des Katholicismus; er hat eine innige,
inbrünstige, nothwendige, wahrhaft religiöse
Bedeu-
tung nur im Gegensatze zur Negation aller substanziellen **)
Bande, im Gegensatze zum Anachoreten-, Mönchs- und Non-
nenwesen. Der dreieinige Gott ist ein inhaltsvoller Gott,
deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirkli-
chen Lebens abstrahirt wird. Je leerer das Leben, desto

*) Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr:
"Darum sie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau
geblieben ist."
**) Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre,
sine genealogia
: neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se
existemet, quasi ipse sit solus et Deus. (Speculum Monach.
unter
den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad
exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse
debeat. Ambrosius
(irgendwo.)

Seite geſetzt *); aber das zurückgeſetzte Weib hat ſich dafür
ſchwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mut-
ter Gottes gebraucht, haben ſich gegen ihn ſelbſt, gegen den
Sohn Gottes, gegen die geſammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer
einmal die Mutter Gottes dem Verſtande aufopfert, hat nicht
mehr weit hin, auch das Myſterium des Sohnes Gottes als
einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomor-
phismus wird allerdings verſteckt, indem das weibliche Weſen
ausgeſchloſſen wird, aber nur verſteckt, nicht aufgehoben. Frei-
lich hatte der Proteſtantismus auch kein Bedürfniß nach einem
himmliſchen Weibe, weil er das irdiſche Weib mit offnen
Armen in ſein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er
auch ſo ehrlich und conſequent ſein ſollen, mit der Mutter auch
den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdi-
ſchen Eltern hat, braucht himmliſche Eltern. Der dreieinige
Gott iſt der Gott des Katholicismus; er hat eine innige,
inbrünſtige, nothwendige, wahrhaft religiöſe
Bedeu-
tung nur im Gegenſatze zur Negation aller ſubſtanziellen **)
Bande, im Gegenſatze zum Anachoreten-, Mönchs- und Non-
nenweſen. Der dreieinige Gott iſt ein inhaltsvoller Gott,
deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirkli-
chen Lebens abſtrahirt wird. Je leerer das Leben, deſto

*) Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr:
„Darum ſie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau
geblieben iſt.“
**) Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre,
sine genealogia
: neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se
existemet, quasi ipse sit solus et Deus. (Speculum Monach.
unter
den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad
exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse
debeat. Ambrosius
(irgendwo.)
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[84/0102] Seite geſetzt *); aber das zurückgeſetzte Weib hat ſich dafür ſchwer an ihm gerochen. Die Waffen, die er gegen die Mut- ter Gottes gebraucht, haben ſich gegen ihn ſelbſt, gegen den Sohn Gottes, gegen die geſammte Dreieinigkeit gekehrt. Wer einmal die Mutter Gottes dem Verſtande aufopfert, hat nicht mehr weit hin, auch das Myſterium des Sohnes Gottes als einen Anthropomorphismus aufzuopfern. Der Anthropomor- phismus wird allerdings verſteckt, indem das weibliche Weſen ausgeſchloſſen wird, aber nur verſteckt, nicht aufgehoben. Frei- lich hatte der Proteſtantismus auch kein Bedürfniß nach einem himmliſchen Weibe, weil er das irdiſche Weib mit offnen Armen in ſein Herz aufnahm. Aber eben deßwegen hätte er auch ſo ehrlich und conſequent ſein ſollen, mit der Mutter auch den Vater und Sohn dahin zu geben. Nur wer keine irdi- ſchen Eltern hat, braucht himmliſche Eltern. Der dreieinige Gott iſt der Gott des Katholicismus; er hat eine innige, inbrünſtige, nothwendige, wahrhaft religiöſe Bedeu- tung nur im Gegenſatze zur Negation aller ſubſtanziellen **) Bande, im Gegenſatze zum Anachoreten-, Mönchs- und Non- nenweſen. Der dreieinige Gott iſt ein inhaltsvoller Gott, deßwegen da ein Bedürfniß, wo von dem Inhalt des wirkli- chen Lebens abſtrahirt wird. Je leerer das Leben, deſto *) Im Concordienbuch Erklär. Art. 8. heißt es jedoch noch von ihr: „Darum ſie wahrhaftig Gottes Mutter und gleichwohl eine Jungfrau geblieben iſt.“ **) Sit monachus quasi Melchisedech sine patre, sine matre, sine genealogia: neque patrem sibi vocet super terram. Imo sic se existemet, quasi ipse sit solus et Deus. (Speculum Monach. unter den unächten Schriften des heil. Bernh.) Melchisedech .... refertur ad exemplum, ut tanquam sine patre et sine matre sacerdos esse debeat. Ambrosius (irgendwo.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/102>, abgerufen am 23.04.2024.