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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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tes drücken diese Beziehung auf das Heil aus. Das Höchste
und Innigste der Religion faßt sich in dem Gedanken zusam-
men: Gott ist die Liebe, die selbst um des Menschen willen
Mensch wurde. Die christliche Religion namentlich unter-
scheidet sich darin von andern Religionen, daß keine so nach-
drücklich wie sie das Heil des Menschen hervorgehoben. Darum
nennt sie sich auch nicht Wahrheits- oder Gotteslehre, sondern
Heilslehre. Aber dieses Heil ist nicht weltliches, irdisches
Glück und Wohl. Im Gegentheil die tiefsten, wahrsten Chri-
sten haben gesagt, daß irdisches Glück den Menschen von Gott
abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den
Menschen zu Gott zurückführen und daher sich allein für den
Christen schicken. Warum? weil im Unglück der Mensch nur
praktisch gesinnt ist, im Unglück er sich nur auf das Eine, was
Noth, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfniß des Menschen
empfunden wird **). Die Lust, die Freude expandirt den
Menschen, das Unglück, der Schmerz contrahirt und concen-
trirt ihn -- im Schmerze verneint der Mensch die Realität
der Welt; alle Dinge, welche die Phantasie des Künstlers und
die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre
Macht für ihn; er versinkt in sich selbst, in sein Gemüth.
Dieses in sich versunkne, auf sich nur concentrirte, in sich nur
sich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die
Natur überhaupt idealistische, in Beziehung auf den Menschen
realistische, nur auf sein nothwendiges inneres Heilbedürfniß

bueram. Bernhardus (De consid. ad Eugenium pontif. max. 1. II.)
Qui Deum quaerit, de propria salute sollicitus est. Clemens
Alex
. (Cohort. ad gent.)
**) Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion
beweist, beweist auch die Realität des Aberglaubens.

tes drücken dieſe Beziehung auf das Heil aus. Das Höchſte
und Innigſte der Religion faßt ſich in dem Gedanken zuſam-
men: Gott iſt die Liebe, die ſelbſt um des Menſchen willen
Menſch wurde. Die chriſtliche Religion namentlich unter-
ſcheidet ſich darin von andern Religionen, daß keine ſo nach-
drücklich wie ſie das Heil des Menſchen hervorgehoben. Darum
nennt ſie ſich auch nicht Wahrheits- oder Gotteslehre, ſondern
Heilslehre. Aber dieſes Heil iſt nicht weltliches, irdiſches
Glück und Wohl. Im Gegentheil die tiefſten, wahrſten Chri-
ſten haben geſagt, daß irdiſches Glück den Menſchen von Gott
abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den
Menſchen zu Gott zurückführen und daher ſich allein für den
Chriſten ſchicken. Warum? weil im Unglück der Menſch nur
praktiſch geſinnt iſt, im Unglück er ſich nur auf das Eine, was
Noth, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfniß des Menſchen
empfunden wird **). Die Luſt, die Freude expandirt den
Menſchen, das Unglück, der Schmerz contrahirt und concen-
trirt ihn — im Schmerze verneint der Menſch die Realität
der Welt; alle Dinge, welche die Phantaſie des Künſtlers und
die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre
Macht für ihn; er verſinkt in ſich ſelbſt, in ſein Gemüth.
Dieſes in ſich verſunkne, auf ſich nur concentrirte, in ſich nur
ſich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die
Natur überhaupt idealiſtiſche, in Beziehung auf den Menſchen
realiſtiſche, nur auf ſein nothwendiges inneres Heilbedürfniß

bueram. Bernhardus (De consid. ad Eugenium pontif. max. 1. II.)
Qui Deum quaerit, de propria salute sollicitus est. Clemens
Alex
. (Cohort. ad gent.)
**) Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion
beweiſt, beweiſt auch die Realität des Aberglaubens.
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[249/0267] tes drücken dieſe Beziehung auf das Heil aus. Das Höchſte und Innigſte der Religion faßt ſich in dem Gedanken zuſam- men: Gott iſt die Liebe, die ſelbſt um des Menſchen willen Menſch wurde. Die chriſtliche Religion namentlich unter- ſcheidet ſich darin von andern Religionen, daß keine ſo nach- drücklich wie ſie das Heil des Menſchen hervorgehoben. Darum nennt ſie ſich auch nicht Wahrheits- oder Gotteslehre, ſondern Heilslehre. Aber dieſes Heil iſt nicht weltliches, irdiſches Glück und Wohl. Im Gegentheil die tiefſten, wahrſten Chri- ſten haben geſagt, daß irdiſches Glück den Menſchen von Gott abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den Menſchen zu Gott zurückführen und daher ſich allein für den Chriſten ſchicken. Warum? weil im Unglück der Menſch nur praktiſch geſinnt iſt, im Unglück er ſich nur auf das Eine, was Noth, bezieht, im Unglück Gott als Bedürfniß des Menſchen empfunden wird **). Die Luſt, die Freude expandirt den Menſchen, das Unglück, der Schmerz contrahirt und concen- trirt ihn — im Schmerze verneint der Menſch die Realität der Welt; alle Dinge, welche die Phantaſie des Künſtlers und die Vernunft des Denkers bezaubern, verlieren ihren Reiz, ihre Macht für ihn; er verſinkt in ſich ſelbſt, in ſein Gemüth. Dieſes in ſich verſunkne, auf ſich nur concentrirte, in ſich nur ſich beruhigende, die Welt verneinende, gegen die Welt, die Natur überhaupt idealiſtiſche, in Beziehung auf den Menſchen realiſtiſche, nur auf ſein nothwendiges inneres Heilbedürfniß *) **) Wer übrigens nur aus dem Unglück die Realität der Religion beweiſt, beweiſt auch die Realität des Aberglaubens. *) bueram. Bernhardus (De consid. ad Eugenium pontif. max. 1. II.) Qui Deum quaerit, de propria salute sollicitus est. Clemens Alex. (Cohort. ad gent.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/267>, abgerufen am 24.04.2024.