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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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die subjective verlegt, läßt wie jede Einseitigkeit, das religiöse
Gemüth kalt; es muß also, wenn auch nicht mit ausdrücklichen
Worten, doch der That nach eine dem subjectiven Bedürfniß
entsprechende Bestimmung in Gott gesetzt werden, um Gegen-
seitigkeit herzustellen. Alle positiven Bestimmungen der Religion
beruhen auf Gegenseitigkeit*). Der religiöse Mensch denkt an
Gott, weil Gott an ihn denkt, er liebt Gott, weil Gott ihn
zuerst geliebt hat u. s. w. Gott ist eifersüchtig auf den Men-
schen -- die Religion eifersüchtig auf die Moral**);
sie saugt ihr die besten Kräfte aus; sie gibt dem Menschen,
was des Menschen ist, aber Gott, was Gottes ist. Und Gottes
ist die wahre, seelenvolle Gesinnung, das Herz.

Wenn wir in Zeiten, wo die Religion heilig war, die
Ehe, das Eigenthum, die Staatsgesetze respectirt finden, so

*) "Wer mich ehrt, den will ich auch ehren, wer aber mich
verachtet, der soll wieder verachtet werden." I. Samuel. 2, 30. Jam se o
bone pater, vermis vilissimus et odio dignissimus sempiterno, tamen con-
fidit amari, quoniam se sentit amare, imo quia se amari praesen-
tit, non redamare
confunditur ... Nemo itaque se amari diffi-
dat, qui jam amat. Bernardus
Ad Thomam. (Epist. 107)
. Ein
sehr schöner und wichtiger Ausspruch. Wenn ich nicht für Gott bin, ist
Gott nicht für mich; wenn ich nicht liebe, bin ich nicht geliebt. Das
Passivum ist das seiner selbst gewisse Activum, das Object das seiner selbst
gewisse Subject. Lieben heißt Mensch sein, Geliebtwerden heißt Gott
sein. Ich bin geliebt, sagt Gott, ich liebe, der Mensch. Erst später
kehrt sich dieß um und verwandelt sich das Passivum in das Activum und
umgekehrt.
**) "Der Herr sprach zu Gideon: des Volks ist zu viel, das mit dir
ist, daß ich sollte Midian in ihre Hände geben; Israel möchte sich rühmen
wider mich
und sagen: Meine Hand hat mich erlöset" d. h. ne Israel
sibi tribuat, quae mihi debentur
. Richter 7, 2. "So spricht der
Herr: Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen ver-
läßt
. Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den Herrn verläßt und der
Herr seine Zuversicht ist." Jeremia 17, 5. 7.

die ſubjective verlegt, läßt wie jede Einſeitigkeit, das religiöſe
Gemüth kalt; es muß alſo, wenn auch nicht mit ausdrücklichen
Worten, doch der That nach eine dem ſubjectiven Bedürfniß
entſprechende Beſtimmung in Gott geſetzt werden, um Gegen-
ſeitigkeit herzuſtellen. Alle poſitiven Beſtimmungen der Religion
beruhen auf Gegenſeitigkeit*). Der religiöſe Menſch denkt an
Gott, weil Gott an ihn denkt, er liebt Gott, weil Gott ihn
zuerſt geliebt hat u. ſ. w. Gott iſt eiferſüchtig auf den Men-
ſchen — die Religion eiferſüchtig auf die Moral**);
ſie ſaugt ihr die beſten Kräfte aus; ſie gibt dem Menſchen,
was des Menſchen iſt, aber Gott, was Gottes iſt. Und Gottes
iſt die wahre, ſeelenvolle Geſinnung, das Herz.

Wenn wir in Zeiten, wo die Religion heilig war, die
Ehe, das Eigenthum, die Staatsgeſetze reſpectirt finden, ſo

*)Wer mich ehrt, den will ich auch ehren, wer aber mich
verachtet, der ſoll wieder verachtet werden.“ I. Samuel. 2, 30. Jam se o
bone pater, vermis vilissimus et odio dignissimus sempiterno, tamen con-
fidit amari, quoniam se sentit amare, imo quia se amari praesen-
tit, non redamare
confunditur … Nemo itaque se amari diffi-
dat, qui jam amat. Bernardus
Ad Thomam. (Epist. 107)
. Ein
ſehr ſchöner und wichtiger Ausſpruch. Wenn ich nicht für Gott bin, iſt
Gott nicht für mich; wenn ich nicht liebe, bin ich nicht geliebt. Das
Paſſivum iſt das ſeiner ſelbſt gewiſſe Activum, das Object das ſeiner ſelbſt
gewiſſe Subject. Lieben heißt Menſch ſein, Geliebtwerden heißt Gott
ſein. Ich bin geliebt, ſagt Gott, ich liebe, der Menſch. Erſt ſpäter
kehrt ſich dieß um und verwandelt ſich das Paſſivum in das Activum und
umgekehrt.
**) „Der Herr ſprach zu Gideon: des Volks iſt zu viel, das mit dir
iſt, daß ich ſollte Midian in ihre Hände geben; Iſrael möchte ſich rühmen
wider mich
und ſagen: Meine Hand hat mich erlöſet“ d. h. ne Israel
sibi tribuat, quae mihi debentur
. Richter 7, 2. „So ſpricht der
Herr: Verflucht iſt der Mann, der ſich auf Menſchen ver-
läßt
. Geſegnet aber iſt der Mann, der ſich auf den Herrn verläßt und der
Herr ſeine Zuverſicht iſt.“ Jeremia 17, 5. 7.
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[373/0391] die ſubjective verlegt, läßt wie jede Einſeitigkeit, das religiöſe Gemüth kalt; es muß alſo, wenn auch nicht mit ausdrücklichen Worten, doch der That nach eine dem ſubjectiven Bedürfniß entſprechende Beſtimmung in Gott geſetzt werden, um Gegen- ſeitigkeit herzuſtellen. Alle poſitiven Beſtimmungen der Religion beruhen auf Gegenſeitigkeit *). Der religiöſe Menſch denkt an Gott, weil Gott an ihn denkt, er liebt Gott, weil Gott ihn zuerſt geliebt hat u. ſ. w. Gott iſt eiferſüchtig auf den Men- ſchen — die Religion eiferſüchtig auf die Moral **); ſie ſaugt ihr die beſten Kräfte aus; ſie gibt dem Menſchen, was des Menſchen iſt, aber Gott, was Gottes iſt. Und Gottes iſt die wahre, ſeelenvolle Geſinnung, das Herz. Wenn wir in Zeiten, wo die Religion heilig war, die Ehe, das Eigenthum, die Staatsgeſetze reſpectirt finden, ſo *) „Wer mich ehrt, den will ich auch ehren, wer aber mich verachtet, der ſoll wieder verachtet werden.“ I. Samuel. 2, 30. Jam se o bone pater, vermis vilissimus et odio dignissimus sempiterno, tamen con- fidit amari, quoniam se sentit amare, imo quia se amari praesen- tit, non redamare confunditur … Nemo itaque se amari diffi- dat, qui jam amat. Bernardus Ad Thomam. (Epist. 107). Ein ſehr ſchöner und wichtiger Ausſpruch. Wenn ich nicht für Gott bin, iſt Gott nicht für mich; wenn ich nicht liebe, bin ich nicht geliebt. Das Paſſivum iſt das ſeiner ſelbſt gewiſſe Activum, das Object das ſeiner ſelbſt gewiſſe Subject. Lieben heißt Menſch ſein, Geliebtwerden heißt Gott ſein. Ich bin geliebt, ſagt Gott, ich liebe, der Menſch. Erſt ſpäter kehrt ſich dieß um und verwandelt ſich das Paſſivum in das Activum und umgekehrt. **) „Der Herr ſprach zu Gideon: des Volks iſt zu viel, das mit dir iſt, daß ich ſollte Midian in ihre Hände geben; Iſrael möchte ſich rühmen wider mich und ſagen: Meine Hand hat mich erlöſet“ d. h. ne Israel sibi tribuat, quae mihi debentur. Richter 7, 2. „So ſpricht der Herr: Verflucht iſt der Mann, der ſich auf Menſchen ver- läßt. Geſegnet aber iſt der Mann, der ſich auf den Herrn verläßt und der Herr ſeine Zuverſicht iſt.“ Jeremia 17, 5. 7.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/391>, abgerufen am 29.03.2024.