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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Natur-, ihrer Form nach Menschenproducte. Wenn wir im
Wasser erklären: der Mensch vermag nichts ohne Natur; so
erklären wir durch Wein und Brot: die Natur vermag nichts,
wenigstens Geistiges, ohne den Menschen; die Natur bedarf
des Menschen, wie der Mensch der Natur
. Im Wasser
geht die menschliche, geistige Thätigkeit zu Grunde; im Wein
und Brot kommt sie zum Selbstgenuß. Wein und Brot sind
übernatürliche Producte -- im allein gültigen und wahren,
der Vernunft und Natur nicht widersprechenden Sinne. Wenn
wir im Wasser die reine Naturkraft anbeten, so beten wir im
Weine und Brote die übernatürliche Kraft des Geistes,
des Bewußtseins, des Menschen an. Darum ist dieses Fest
nur für den zum Bewußtsein gezeitigten Menschen; die Taufe
wird auch schon den Kindern zu Theil. Aber zugleich feiern
wir hier das wahre Verhältniß des Geistes zur Natur: die
Natur gibt den Stoff, der Geist die Form. Das Fest der
Wassertaufe flößt uns Dankbarkeit gegen die Natur ein, das
Fest des Brotes und Weines Dankbarkeit gegen den Menschen.
Wein und Brot gehören zu den ältesten Erfindungen. Wein
und Brot vergegenwärtigen, versinnlichen uns die Wahrheit,
daß der Mensch des Menschen Gott und Heiland ist.

Das Essen und Trinken sind die Mysterien des Abend-
mahls -- das Essen und Trinken sind in der That an und
für sich selbst religiöse Acte; sie sollen es wenigstens sein.
Denke daher bei jedem Bissen Brotes, der Dich von der Qual
des Hungers erlöst, bei jedem Schlucke Wein, der Dein Herz
erfreut, an den Gott, der Dir diese wohlthätigen Gaben ge-
spendet -- an den Menschen! Aber vergiß nicht über der
Dankbarkeit gegen den Menschen die Dankbarkeit gegen die
heilige Natur! Vergiß nicht, daß der Wein das Blut der

Natur-, ihrer Form nach Menſchenproducte. Wenn wir im
Waſſer erklären: der Menſch vermag nichts ohne Natur; ſo
erklären wir durch Wein und Brot: die Natur vermag nichts,
wenigſtens Geiſtiges, ohne den Menſchen; die Natur bedarf
des Menſchen, wie der Menſch der Natur
. Im Waſſer
geht die menſchliche, geiſtige Thätigkeit zu Grunde; im Wein
und Brot kommt ſie zum Selbſtgenuß. Wein und Brot ſind
übernatürliche Producte — im allein gültigen und wahren,
der Vernunft und Natur nicht widerſprechenden Sinne. Wenn
wir im Waſſer die reine Naturkraft anbeten, ſo beten wir im
Weine und Brote die übernatürliche Kraft des Geiſtes,
des Bewußtſeins, des Menſchen an. Darum iſt dieſes Feſt
nur für den zum Bewußtſein gezeitigten Menſchen; die Taufe
wird auch ſchon den Kindern zu Theil. Aber zugleich feiern
wir hier das wahre Verhältniß des Geiſtes zur Natur: die
Natur gibt den Stoff, der Geiſt die Form. Das Feſt der
Waſſertaufe flößt uns Dankbarkeit gegen die Natur ein, das
Feſt des Brotes und Weines Dankbarkeit gegen den Menſchen.
Wein und Brot gehören zu den älteſten Erfindungen. Wein
und Brot vergegenwärtigen, verſinnlichen uns die Wahrheit,
daß der Menſch des Menſchen Gott und Heiland iſt.

Das Eſſen und Trinken ſind die Myſterien des Abend-
mahls — das Eſſen und Trinken ſind in der That an und
für ſich ſelbſt religiöſe Acte; ſie ſollen es wenigſtens ſein.
Denke daher bei jedem Biſſen Brotes, der Dich von der Qual
des Hungers erlöſt, bei jedem Schlucke Wein, der Dein Herz
erfreut, an den Gott, der Dir dieſe wohlthätigen Gaben ge-
ſpendet — an den Menſchen! Aber vergiß nicht über der
Dankbarkeit gegen den Menſchen die Dankbarkeit gegen die
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[379/0397] Natur-, ihrer Form nach Menſchenproducte. Wenn wir im Waſſer erklären: der Menſch vermag nichts ohne Natur; ſo erklären wir durch Wein und Brot: die Natur vermag nichts, wenigſtens Geiſtiges, ohne den Menſchen; die Natur bedarf des Menſchen, wie der Menſch der Natur. Im Waſſer geht die menſchliche, geiſtige Thätigkeit zu Grunde; im Wein und Brot kommt ſie zum Selbſtgenuß. Wein und Brot ſind übernatürliche Producte — im allein gültigen und wahren, der Vernunft und Natur nicht widerſprechenden Sinne. Wenn wir im Waſſer die reine Naturkraft anbeten, ſo beten wir im Weine und Brote die übernatürliche Kraft des Geiſtes, des Bewußtſeins, des Menſchen an. Darum iſt dieſes Feſt nur für den zum Bewußtſein gezeitigten Menſchen; die Taufe wird auch ſchon den Kindern zu Theil. Aber zugleich feiern wir hier das wahre Verhältniß des Geiſtes zur Natur: die Natur gibt den Stoff, der Geiſt die Form. Das Feſt der Waſſertaufe flößt uns Dankbarkeit gegen die Natur ein, das Feſt des Brotes und Weines Dankbarkeit gegen den Menſchen. Wein und Brot gehören zu den älteſten Erfindungen. Wein und Brot vergegenwärtigen, verſinnlichen uns die Wahrheit, daß der Menſch des Menſchen Gott und Heiland iſt. Das Eſſen und Trinken ſind die Myſterien des Abend- mahls — das Eſſen und Trinken ſind in der That an und für ſich ſelbſt religiöſe Acte; ſie ſollen es wenigſtens ſein. Denke daher bei jedem Biſſen Brotes, der Dich von der Qual des Hungers erlöſt, bei jedem Schlucke Wein, der Dein Herz erfreut, an den Gott, der Dir dieſe wohlthätigen Gaben ge- ſpendet — an den Menſchen! Aber vergiß nicht über der Dankbarkeit gegen den Menſchen die Dankbarkeit gegen die heilige Natur! Vergiß nicht, daß der Wein das Blut der

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/397>, abgerufen am 19.04.2024.