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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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wenn Du mit ihnen das Heilige ergreifst und berührst? Wenn
also Gott gegessen und getrunken wird, so wird Essen und
Trinken als ein göttlicher Act ausgesprochen. Und dieß
sagt die Eucharistie, aber auf ein sich selbst widersprechende,
mystische, heimliche Weise. Unsere Aufgabe ist es jedoch, offen
und ehrlich, deutlich und bestimmt das Mysterium der Religion
auszusprechen. Das Leben ist Gott, Lebensgenuß Got-
tesgenuß, wahre
Lebensfreude wahre Religion. Aber
zum Lebensgenuß gehört auch der Genuß von Speise und
Trank. Soll daher das Leben überhaupt heilig sein, so muß
auch Essen und Trinken heilig sein. Ist diese Confession Ir-
religion? Nun so bedenke man, daß diese Irreligion das ana-
lysirte, explicirte, das unumwunden ausgesprochene Geheimniß
der Religion selbst ist. Alle Geheimnisse der Religion resolvi-
ren sich zuletzt, wie gezeigt, in das Geheimniß der himmli-
schen Seligkeit. Aber die himmlische Seligkeit ist nur die von
den Schranken der Wirklichkeit entblößte Glückseligkeit. Die
Christen wollen so gut glückselig sein als die Heiden. Der
Unterschied ist nur, daß die Heiden den Himmel auf die
Erde, die Christen die Erde in den Himmel versetzen
.
Endlich ist, was ist, was wirklich genossen wird; aber unend-
lich, was nicht ist, was nur geglaubt und gehofft wird.


wenn Du mit ihnen das Heilige ergreifſt und berührſt? Wenn
alſo Gott gegeſſen und getrunken wird, ſo wird Eſſen und
Trinken als ein göttlicher Act ausgeſprochen. Und dieß
ſagt die Euchariſtie, aber auf ein ſich ſelbſt widerſprechende,
myſtiſche, heimliche Weiſe. Unſere Aufgabe iſt es jedoch, offen
und ehrlich, deutlich und beſtimmt das Myſterium der Religion
auszuſprechen. Das Leben iſt Gott, Lebensgenuß Got-
tesgenuß, wahre
Lebensfreude wahre Religion. Aber
zum Lebensgenuß gehört auch der Genuß von Speiſe und
Trank. Soll daher das Leben überhaupt heilig ſein, ſo muß
auch Eſſen und Trinken heilig ſein. Iſt dieſe Confeſſion Ir-
religion? Nun ſo bedenke man, daß dieſe Irreligion das ana-
lyſirte, explicirte, das unumwunden ausgeſprochene Geheimniß
der Religion ſelbſt iſt. Alle Geheimniſſe der Religion reſolvi-
ren ſich zuletzt, wie gezeigt, in das Geheimniß der himmli-
ſchen Seligkeit. Aber die himmliſche Seligkeit iſt nur die von
den Schranken der Wirklichkeit entblößte Glückſeligkeit. Die
Chriſten wollen ſo gut glückſelig ſein als die Heiden. Der
Unterſchied iſt nur, daß die Heiden den Himmel auf die
Erde, die Chriſten die Erde in den Himmel verſetzen
.
Endlich iſt, was iſt, was wirklich genoſſen wird; aber unend-
lich, was nicht iſt, was nur geglaubt und gehofft wird.


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[450/0468] wenn Du mit ihnen das Heilige ergreifſt und berührſt? Wenn alſo Gott gegeſſen und getrunken wird, ſo wird Eſſen und Trinken als ein göttlicher Act ausgeſprochen. Und dieß ſagt die Euchariſtie, aber auf ein ſich ſelbſt widerſprechende, myſtiſche, heimliche Weiſe. Unſere Aufgabe iſt es jedoch, offen und ehrlich, deutlich und beſtimmt das Myſterium der Religion auszuſprechen. Das Leben iſt Gott, Lebensgenuß Got- tesgenuß, wahre Lebensfreude wahre Religion. Aber zum Lebensgenuß gehört auch der Genuß von Speiſe und Trank. Soll daher das Leben überhaupt heilig ſein, ſo muß auch Eſſen und Trinken heilig ſein. Iſt dieſe Confeſſion Ir- religion? Nun ſo bedenke man, daß dieſe Irreligion das ana- lyſirte, explicirte, das unumwunden ausgeſprochene Geheimniß der Religion ſelbſt iſt. Alle Geheimniſſe der Religion reſolvi- ren ſich zuletzt, wie gezeigt, in das Geheimniß der himmli- ſchen Seligkeit. Aber die himmliſche Seligkeit iſt nur die von den Schranken der Wirklichkeit entblößte Glückſeligkeit. Die Chriſten wollen ſo gut glückſelig ſein als die Heiden. Der Unterſchied iſt nur, daß die Heiden den Himmel auf die Erde, die Chriſten die Erde in den Himmel verſetzen. Endlich iſt, was iſt, was wirklich genoſſen wird; aber unend- lich, was nicht iſt, was nur geglaubt und gehofft wird.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/468>, abgerufen am 23.04.2024.