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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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Materielle vage Verbrechen. Abtreib. d. Foetus.
§. 433.

Unter einem belebten Fötus können wir
uns nicht mit Carl einen Fötus denken, in dem
schon eine menschliche Seele ist; noch können
wir den von den Glossatoren als Zeitpunkt der
eigentlichen Beseelung erträumten Zeitraum
von 40 Tagen nach der Empfängniss aufnehmen,
weil die letzte Vorstellungsart, welche die
erste näher bestimmen müsste, so ungereimt
ist, als diese *), sondern wir können uns unter
einem belebten Fötus nur einen solchen denken,
der schon durch Muskularbewegung äussere
Zeichen des thierischen Lebens gegeben hat **).

§. 434.

Wegen der Schwierigkeit, den Thatbe-
stand zur Gewissheit zu bringen, kann die
ordentliche Strafe wohl nie ausgeübt werden.
In dem Gesetz, welches das Verbrechen des
Abtreibens begründet, ist zugleich die Tödung
lebensfähiger Kinder im Mutterleib
für Ver-

bre-
*) Die Geschichte dieser Ungereimtheiten, die zuletzt
in der falschen Uebersetzung von Exod XXI, 22.
durch die Septuaginta ihre Quelle haben, wird er-
zählt von Boehmer Diss. cit. §. 24. sqq. und C.
F. Walch Diss. de genuino fonte distinctionis inter
foetum animatum et inanimatum in Nemesi Carolina. Art.

131. adbibitae. Ien. 1768. (abgedruckt in dessen
Opusc. T. III.) Beyde sind excerpirt von Koch inst.
jur. crim.
§. 481 -- 83.
**) Klein peinl. R. §. 359. Auf die Hälfte der
Schwangerschaft ist dieses aber nicht gerade mit
dem Sachsenrechte einzuschränken. Grolman
C. R. W. §. 443.
Materielle vage Verbrechen. Abtreib. d. Foetus.
§. 433.

Unter einem belebten Fötus können wir
uns nicht mit Carl einen Fötus denken, in dem
ſchon eine menſchliche Seele iſt; noch können
wir den von den Gloſſatoren als Zeitpunkt der
eigentlichen Beſeelung erträumten Zeitraum
von 40 Tagen nach der Empfängniſs aufnehmen,
weil die letzte Vorſtellungsart, welche die
erſte näher beſtimmen müſste, ſo ungereimt
iſt, als dieſe *), ſondern wir können uns unter
einem belebten Fötus nur einen ſolchen denken,
der ſchon durch Muskularbewegung äuſſere
Zeichen des thieriſchen Lebens gegeben hat **).

§. 434.

Wegen der Schwierigkeit, den Thatbe-
ſtand zur Gewiſsheit zu bringen, kann die
ordentliche Strafe wohl nie ausgeübt werden.
In dem Geſetz, welches das Verbrechen des
Abtreibens begründet, iſt zugleich die Tödung
lebensfähiger Kinder im Mutterleib
für Ver-

bre-
*) Die Geſchichte dieſer Ungereimtheiten, die zuletzt
in der falſchen Ueberſetzung von Exod XXI, 22.
durch die Septuaginta ihre Quelle haben, wird er-
zählt von Boehmer Diſſ. cit. §. 24. ſqq. und C.
F. Walch Diſſ. de genuino fonte diſtinctionis inter
foetum animatum et inanimatum in Nemeſi Carolina. Art.

131. adbibitae. Ien. 1768. (abgedruckt in deſſen
Opusc. T. III.) Beyde ſind excerpirt von Koch inſt.
jur. crim.
§. 481 — 83.
**) Klein peinl. R. §. 359. Auf die Hälfte der
Schwangerſchaft iſt dieſes aber nicht gerade mit
dem Sachſenrechte einzuſchränken. Grolman
C. R. W. §. 443.
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[349/0377] Materielle vage Verbrechen. Abtreib. d. Foetus. §. 433. Unter einem belebten Fötus können wir uns nicht mit Carl einen Fötus denken, in dem ſchon eine menſchliche Seele iſt; noch können wir den von den Gloſſatoren als Zeitpunkt der eigentlichen Beſeelung erträumten Zeitraum von 40 Tagen nach der Empfängniſs aufnehmen, weil die letzte Vorſtellungsart, welche die erſte näher beſtimmen müſste, ſo ungereimt iſt, als dieſe *), ſondern wir können uns unter einem belebten Fötus nur einen ſolchen denken, der ſchon durch Muskularbewegung äuſſere Zeichen des thieriſchen Lebens gegeben hat **). §. 434. Wegen der Schwierigkeit, den Thatbe- ſtand zur Gewiſsheit zu bringen, kann die ordentliche Strafe wohl nie ausgeübt werden. In dem Geſetz, welches das Verbrechen des Abtreibens begründet, iſt zugleich die Tödung lebensfähiger Kinder im Mutterleib für Ver- bre- *) Die Geſchichte dieſer Ungereimtheiten, die zuletzt in der falſchen Ueberſetzung von Exod XXI, 22. durch die Septuaginta ihre Quelle haben, wird er- zählt von Boehmer Diſſ. cit. §. 24. ſqq. und C. F. Walch Diſſ. de genuino fonte diſtinctionis inter foetum animatum et inanimatum in Nemeſi Carolina. Art. 131. adbibitae. Ien. 1768. (abgedruckt in deſſen Opusc. T. III.) Beyde ſind excerpirt von Koch inſt. jur. crim. §. 481 — 83. **) Klein peinl. R. §. 359. Auf die Hälfte der Schwangerſchaft iſt dieſes aber nicht gerade mit dem Sachſenrechte einzuſchränken. Grolman C. R. W. §. 443.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/377>, abgerufen am 28.03.2024.