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Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

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V. d. nothw. Bedingg. e. Verbrechens, etc.
§. 8.

Eine Verletzung des andern aus Noth-
wehr ist nur darum rechtlich, weil und wie
ferne sie die Ausübung des eignen Rechts der
erlaubten Selbstvertheidigung im Staate ist.
Es ergiebt sich daraus, dass I. die Vertheidi-
gung, in welcher der Andere verletzt wurde,
alle Erfodernisse der rechtmässigen Vertheidi-
gung überhaupt haben muss, II. dass sich der
Angegriffene unverschuldet in einem Zustande
befinden muste, wo die Erhaltung seines Rechts
durch die Staatsgewalt unmöglich war. Eine
Vertheidigung, die nicht alle diese Erfoder-
nisse hat, ist eine schuldhafte Nothwehr (m. de-
culpatae tutelae).

§. 49.

Es wird daher erfodert 1) dass der abge-
wehrte Angriff ungerecht *) 2) gegenwärtig
(laesio inchoata), 3) unerwartet **) und 4) auf
die Verletzung eines Guts gerichtet war, das
entweder an sich unersetzlich ist, oder doch
unter den individuellen Umständen des ge-
genwärtigen Angriffs (nach Gründen der Wahr-
scheinlichkeit) unwiderbringlich verloren gewe-
sen wäre. Denn im entgegengesetzten Falle
kann durch nachfolgende Hülfe des Staats der
Zustand der Integrität wieder hergestellt wer-
den. Blosse Ehrenverletzung begründet daher
nie ***); Angriff auf Güter nur dann das

Recht
*) P. G. O. Art. 142. u. 143.
**) "Ueberlauf." -- Walch Glossarium sub voc.
"Ueberlauf."
***) Blosse Ehrenverletzung (nemlich wenn sie nicht
mit der Verletzung eines andern persönlichen
Rechts
V. d. nothw. Bedingg. e. Verbrechens, etc.
§. 8.

Eine Verletzung des andern aus Noth-
wehr iſt nur darum rechtlich, weil und wie
ferne ſie die Ausübung des eignen Rechts der
erlaubten Selbſtvertheidigung im Staate iſt.
Es ergiebt ſich daraus, daſs I. die Vertheidi-
gung, in welcher der Andere verletzt wurde,
alle Erfoderniſse der rechtmäſsigen Vertheidi-
gung überhaupt haben muſs, II. daſs ſich der
Angegriffene unverſchuldet in einem Zuſtande
befinden muſte, wo die Erhaltung ſeines Rechts
durch die Staatsgewalt unmöglich war. Eine
Vertheidigung, die nicht alle dieſe Erfoder-
niſſe hat, iſt eine ſchuldhafte Nothwehr (m. de-
culpatae tutelae).

§. 49.

Es wird daher erfodert 1) daſs der abge-
wehrte Angriff ungerecht *) 2) gegenwärtig
(laeſio inchoata), 3) unerwartet **) und 4) auf
die Verletzung eines Guts gerichtet war, das
entweder an ſich unerſetzlich iſt, oder doch
unter den individuellen Umſtänden des ge-
genwärtigen Angriffs (nach Gründen der Wahr-
ſcheinlichkeit) unwiderbringlich verloren gewe-
ſen wäre. Denn im entgegengeſetzten Falle
kann durch nachfolgende Hülfe des Staats der
Zuſtand der Integrität wieder hergeſtellt wer-
den. Bloſse Ehrenverletzung begründet daher
nie ***); Angriff auf Güter nur dann das

Recht
*) P. G. O. Art. 142. u. 143.
**)Ueberlauf.“ — Walch Gloſſarium ſub voc.
„Ueberlauf.“
***) Bloſse Ehrenverletzung (nemlich wenn ſie nicht
mit der Verletzung eines andern perſönlichen
Rechts
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[37/0065] V. d. nothw. Bedingg. e. Verbrechens, etc. §. 8. Eine Verletzung des andern aus Noth- wehr iſt nur darum rechtlich, weil und wie ferne ſie die Ausübung des eignen Rechts der erlaubten Selbſtvertheidigung im Staate iſt. Es ergiebt ſich daraus, daſs I. die Vertheidi- gung, in welcher der Andere verletzt wurde, alle Erfoderniſse der rechtmäſsigen Vertheidi- gung überhaupt haben muſs, II. daſs ſich der Angegriffene unverſchuldet in einem Zuſtande befinden muſte, wo die Erhaltung ſeines Rechts durch die Staatsgewalt unmöglich war. Eine Vertheidigung, die nicht alle dieſe Erfoder- niſſe hat, iſt eine ſchuldhafte Nothwehr (m. de- culpatae tutelae). §. 49. Es wird daher erfodert 1) daſs der abge- wehrte Angriff ungerecht *) 2) gegenwärtig (laeſio inchoata), 3) unerwartet **) und 4) auf die Verletzung eines Guts gerichtet war, das entweder an ſich unerſetzlich iſt, oder doch unter den individuellen Umſtänden des ge- genwärtigen Angriffs (nach Gründen der Wahr- ſcheinlichkeit) unwiderbringlich verloren gewe- ſen wäre. Denn im entgegengeſetzten Falle kann durch nachfolgende Hülfe des Staats der Zuſtand der Integrität wieder hergeſtellt wer- den. Bloſse Ehrenverletzung begründet daher nie ***); Angriff auf Güter nur dann das Recht *) P. G. O. Art. 142. u. 143. **) „Ueberlauf.“ — Walch Gloſſarium ſub voc. „Ueberlauf.“ ***) Bloſse Ehrenverletzung (nemlich wenn ſie nicht mit der Verletzung eines andern perſönlichen Rechts

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Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/65>, abgerufen am 18.04.2024.