Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

ben *); und sie könnte dann schlechthin die Wissenschaft,
oder die Wissenschaftslehre heissen. Die bisher soge-
nannte Philosophie wäre demnach die Wissenschaft
von einer Wissenschaft überhaupt
.

§. 2. Entwicklung des Begriffs der Wissen-
schaftslehre
.

Man soll aus Definitionen nicht folgern: das heisst
entweder, man soll daraus, dass man sich ohne Wider-
spruch in die Beschreibung eines Dinges, welches ganz
unabhängig von unsrer Beschreibung existiert, ein ge-
wisses Merkmal hat denken können, nicht ohne wei-
tern Grund schliessen, dass dasselbe darum im wirkli-
chen Dinge anzutreffen seyn müsse; oder man soll bei
einem Dinge, das selbst erst durch uns, nach einem
davon gebildeten Begriffe, der den Zweck desselben
ausdrückt, hervorgebracht werden soll, aus der Denk-
barkeit dieses Zwecks noch nicht auf die Ausführbar-
keit desselben in der Wirklichkeit schliessen: aber nim-
mermehr kann es heissen, man solle sich bei seinen gei-
stigen oder körperlichen Arbeiten keinen Zweck aufge-
ben, und sich denselben, noch ehe man an die Arbeit
geht, ja nicht deutlich zu machen suchen, sondern es
dem Spiele seiner Einbildungskraft, oder seiner Finger
überlassen, was etwa herauskommen möge. Der Er-
finder der Aerostatischen Bälle durfte wohl die Grösse
derselben, und das Verhältniss der darinn eingeschlos-

senen
*) Sie wäre wohl auch werth, ihr die übrigen Kunstausdrücke
aus ihrer Sprache zu geben; und die Sprache selbst, so wie
die Nation, welche dieselbe redete, würde dadurch ein ent-
schiedenes Uebergewicht über alle andere Sprachen und Natio-
nen erhalten.

ben *); und ſie könnte dann ſchlechthin die Wiſſenſchaft,
oder die Wiſſenſchaftslehre heiſſen. Die bisher ſoge-
nannte Philoſophie wäre demnach die Wiſſenſchaft
von einer Wiſſenſchaft überhaupt
.

§. 2. Entwicklung des Begriffs der Wiſſen-
ſchaftslehre
.

Man ſoll aus Definitionen nicht folgern: das heiſst
entweder, man ſoll daraus, daſs man ſich ohne Wider-
ſpruch in die Beſchreibung eines Dinges, welches ganz
unabhängig von unſrer Beſchreibung exiſtiert, ein ge-
wiſſes Merkmal hat denken können, nicht ohne wei-
tern Grund ſchlieſſen, daſs daſſelbe darum im wirkli-
chen Dinge anzutreffen ſeyn müſſe; oder man ſoll bei
einem Dinge, das ſelbſt erſt durch uns, nach einem
davon gebildeten Begriffe, der den Zweck deſſelben
ausdrückt, hervorgebracht werden ſoll, aus der Denk-
barkeit dieſes Zwecks noch nicht auf die Ausführbar-
keit deſſelben in der Wirklichkeit ſchlieſſen: aber nim-
mermehr kann es heiſſen, man ſolle ſich bei ſeinen gei-
ſtigen oder körperlichen Arbeiten keinen Zweck aufge-
ben, und ſich denſelben, noch ehe man an die Arbeit
geht, ja nicht deutlich zu machen ſuchen, ſondern es
dem Spiele ſeiner Einbildungskraft, oder ſeiner Finger
überlaſſen, was etwa herauskommen möge. Der Er-
finder der Aëroſtatiſchen Bälle durfte wohl die Gröſse
derſelben, und das Verhältniſs der darinn eingeſchloſ-

ſenen
*) Sie wäre wohl auch werth, ihr die übrigen Kunſtausdrücke
aus ihrer Sprache zu geben; und die Sprache ſelbſt, ſo wie
die Nation, welche dieſelbe redete, würde dadurch ein ent-
ſchiedenes Uebergewicht über alle andere Sprachen und Natio-
nen erhalten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="18"/>
ben <note place="foot" n="*)">Sie wäre wohl auch werth, ihr die übrigen Kun&#x017F;tausdrücke<lb/>
aus ihrer Sprache zu geben; und die Sprache &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o wie<lb/>
die Nation, welche die&#x017F;elbe redete, würde dadurch ein ent-<lb/>
&#x017F;chiedenes Uebergewicht über alle andere Sprachen und Natio-<lb/>
nen erhalten.</note>; und &#x017F;ie könnte dann &#x017F;chlechthin <hi rendition="#i">die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi>,<lb/>
oder <hi rendition="#i">die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre</hi> hei&#x017F;&#x017F;en. Die bisher &#x017F;oge-<lb/>
nannte Philo&#x017F;ophie wäre demnach <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
von einer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft überhaupt</hi></hi>.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 2. <hi rendition="#i">Entwicklung des Begriffs der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftslehre</hi>.</head><lb/>
          <p>Man &#x017F;oll aus Definitionen nicht folgern: das hei&#x017F;st<lb/>
entweder, man &#x017F;oll daraus, da&#x017F;s man &#x017F;ich ohne Wider-<lb/>
&#x017F;pruch in die Be&#x017F;chreibung eines Dinges, welches ganz<lb/>
unabhängig von un&#x017F;rer Be&#x017F;chreibung exi&#x017F;tiert, ein ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;es Merkmal hat denken können, nicht ohne wei-<lb/>
tern Grund &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, da&#x017F;s da&#x017F;&#x017F;elbe darum im wirkli-<lb/>
chen Dinge anzutreffen &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;e; oder man &#x017F;oll bei<lb/>
einem Dinge, das &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;t durch uns, nach einem<lb/>
davon gebildeten Begriffe, der den Zweck de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
ausdrückt, hervorgebracht werden &#x017F;oll, aus der Denk-<lb/>
barkeit die&#x017F;es Zwecks noch nicht auf die Ausführbar-<lb/>
keit de&#x017F;&#x017F;elben in der Wirklichkeit &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en: aber nim-<lb/>
mermehr kann es hei&#x017F;&#x017F;en, man &#x017F;olle &#x017F;ich bei &#x017F;einen gei-<lb/>
&#x017F;tigen oder körperlichen Arbeiten keinen Zweck aufge-<lb/>
ben, und &#x017F;ich den&#x017F;elben, noch ehe man an die Arbeit<lb/>
geht, ja nicht deutlich zu machen &#x017F;uchen, &#x017F;ondern es<lb/>
dem Spiele &#x017F;einer Einbildungskraft, oder &#x017F;einer Finger<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en, was etwa herauskommen möge. Der Er-<lb/>
finder der Aëro&#x017F;tati&#x017F;chen Bälle durfte wohl die Grö&#x017F;se<lb/>
der&#x017F;elben, und das Verhältni&#x017F;s der darinn einge&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;enen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0026] ben *); und ſie könnte dann ſchlechthin die Wiſſenſchaft, oder die Wiſſenſchaftslehre heiſſen. Die bisher ſoge- nannte Philoſophie wäre demnach die Wiſſenſchaft von einer Wiſſenſchaft überhaupt. §. 2. Entwicklung des Begriffs der Wiſſen- ſchaftslehre. Man ſoll aus Definitionen nicht folgern: das heiſst entweder, man ſoll daraus, daſs man ſich ohne Wider- ſpruch in die Beſchreibung eines Dinges, welches ganz unabhängig von unſrer Beſchreibung exiſtiert, ein ge- wiſſes Merkmal hat denken können, nicht ohne wei- tern Grund ſchlieſſen, daſs daſſelbe darum im wirkli- chen Dinge anzutreffen ſeyn müſſe; oder man ſoll bei einem Dinge, das ſelbſt erſt durch uns, nach einem davon gebildeten Begriffe, der den Zweck deſſelben ausdrückt, hervorgebracht werden ſoll, aus der Denk- barkeit dieſes Zwecks noch nicht auf die Ausführbar- keit deſſelben in der Wirklichkeit ſchlieſſen: aber nim- mermehr kann es heiſſen, man ſolle ſich bei ſeinen gei- ſtigen oder körperlichen Arbeiten keinen Zweck aufge- ben, und ſich denſelben, noch ehe man an die Arbeit geht, ja nicht deutlich zu machen ſuchen, ſondern es dem Spiele ſeiner Einbildungskraft, oder ſeiner Finger überlaſſen, was etwa herauskommen möge. Der Er- finder der Aëroſtatiſchen Bälle durfte wohl die Gröſse derſelben, und das Verhältniſs der darinn eingeſchloſ- ſenen *) Sie wäre wohl auch werth, ihr die übrigen Kunſtausdrücke aus ihrer Sprache zu geben; und die Sprache ſelbſt, ſo wie die Nation, welche dieſelbe redete, würde dadurch ein ent- ſchiedenes Uebergewicht über alle andere Sprachen und Natio- nen erhalten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/26
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/26>, abgerufen am 19.04.2024.