Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern auch ihren abgeleiteten Sätzen nach in der Wissen-
schaftslehre enthalten; und es giebt gar keine besondre
Wissenschaft, sondern nur Theile einer und eben der-
selben Wissenschaftslehre; oder es wird in beiden Wis-
senschaften auf verschiedene Art gefolgert, welches
auch nicht möglich ist, da die Wissenschaftslehre allen
Wissenschaften ihre Form geben soll: oder es muss zu
einem Satze der blossen Wissenschaftslehre noch Etwas,
das freilich nirgend anders her als aus der Wissenschafts-
lehre entlehnt seyn kann, hinzukommen, wenn er
Grundsatz einer besondern Wissenschaft werden soll.
Es entsteht die Frage: welches ist das hinzukommende,
oder -- da dieses hinzukommende die Unterscheidung
ausmacht -- welches ist die bestimmte Grenze zwischen
der Wissenschaftslehre überhaupt, und jeder besondern
Wissenschaft.

Die Wissenschaftslehre sollte ferner in dergleichen
Rücksicht allen Wissenschaften ihre Form bestimmen.
Wie das geschehen könne, ist schon oben angezeigt.
Aber es tritt eine andere Wissenschaft, unter dem Na-
men der Logik, mit den gleichen Ansprüchen uns in
den Weg. Zwischen beiden muss entschieden, es muss
untersucht werden, wie die Wissenschaftslehre sich zur
Logik verhalte.

Die Wissenschaftslehre ist selbst eine Wissenschaft,
und was sie in dieser Rücksicht zu leisten habe, ist oben
bestimmt. Aber in sofern sie blosse Wissenschaft ist, ist
sie Wissenschaft von irgend Etwas; sie hat einen Gegen-
stand, und es ist aus dem obigen klar, dass dieser Ge-
genstand kein andrer sei, als das System des menschlichen

Wis-
C

ſondern auch ihren abgeleiteten Sätzen nach in der Wiſſen-
ſchaftslehre enthalten; und es giebt gar keine beſondre
Wiſſenſchaft, ſondern nur Theile einer und eben der-
ſelben Wiſſenſchaftslehre; oder es wird in beiden Wiſ-
ſenſchaften auf verſchiedene Art gefolgert, welches
auch nicht möglich iſt, da die Wiſſenſchaftslehre allen
Wiſſenſchaften ihre Form geben ſoll: oder es muſs zu
einem Satze der bloſſen Wiſſenſchaftslehre noch Etwas,
das freilich nirgend anders her als aus der Wiſſenſchafts-
lehre entlehnt ſeyn kann, hinzukommen, wenn er
Grundſatz einer beſondern Wiſſenſchaft werden ſoll.
Es entſteht die Frage: welches iſt das hinzukommende,
oder — da dieſes hinzukommende die Unterſcheidung
ausmacht — welches iſt die beſtimmte Grenze zwiſchen
der Wiſſenſchaftslehre überhaupt, und jeder beſondern
Wiſſenſchaft.

Die Wiſſenſchaftslehre ſollte ferner in dergleichen
Rückſicht allen Wiſſenſchaften ihre Form beſtimmen.
Wie das geſchehen könne, iſt ſchon oben angezeigt.
Aber es tritt eine andere Wiſſenſchaft, unter dem Na-
men der Logik, mit den gleichen Anſprüchen uns in
den Weg. Zwiſchen beiden muſs entſchieden, es muſs
unterſucht werden, wie die Wiſſenſchaftslehre ſich zur
Logik verhalte.

Die Wiſſenſchaftslehre iſt ſelbſt eine Wiſſenſchaft,
und was ſie in dieſer Rückſicht zu leiſten habe, iſt oben
beſtimmt. Aber in ſofern ſie bloſse Wiſſenſchaft iſt, iſt
ſie Wiſſenſchaft von irgend Etwas; ſie hat einen Gegen-
ſtand, und es iſt aus dem obigen klar, daſs dieſer Ge-
genſtand kein andrer ſei, als das Syſtem des menſchlichen

Wiſ-
C
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="33"/>
&#x017F;ondern auch ihren abgeleiteten Sätzen nach in der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftslehre enthalten; und es giebt gar keine be&#x017F;ondre<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, &#x017F;ondern nur Theile einer und eben der-<lb/>
&#x017F;elben Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre; oder es wird in beiden Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften auf ver&#x017F;chiedene Art gefolgert, welches<lb/>
auch nicht möglich i&#x017F;t, da die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre allen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften ihre Form geben &#x017F;oll: oder es mu&#x017F;s zu<lb/>
einem Satze der blo&#x017F;&#x017F;en Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre noch Etwas,<lb/>
das freilich nirgend anders her als aus der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafts-<lb/>
lehre entlehnt &#x017F;eyn kann, hinzukommen, wenn er<lb/>
Grund&#x017F;atz einer be&#x017F;ondern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft werden &#x017F;oll.<lb/>
Es ent&#x017F;teht die Frage: welches i&#x017F;t das hinzukommende,<lb/>
oder &#x2014; da die&#x017F;es hinzukommende die Unter&#x017F;cheidung<lb/>
ausmacht &#x2014; welches i&#x017F;t die be&#x017F;timmte Grenze zwi&#x017F;chen<lb/>
der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre überhaupt, und jeder be&#x017F;ondern<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.</p><lb/>
          <p>Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre &#x017F;ollte ferner in dergleichen<lb/>
Rück&#x017F;icht allen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften ihre Form be&#x017F;timmen.<lb/>
Wie das ge&#x017F;chehen könne, i&#x017F;t &#x017F;chon oben angezeigt.<lb/>
Aber es tritt eine andere Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, unter dem Na-<lb/>
men der <hi rendition="#i">Logik</hi>, mit den gleichen An&#x017F;prüchen uns in<lb/>
den Weg. Zwi&#x017F;chen beiden mu&#x017F;s ent&#x017F;chieden, es mu&#x017F;s<lb/>
unter&#x017F;ucht werden, wie die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre &#x017F;ich zur<lb/>
Logik verhalte.</p><lb/>
          <p>Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
und was &#x017F;ie in die&#x017F;er Rück&#x017F;icht zu lei&#x017F;ten habe, i&#x017F;t oben<lb/>
be&#x017F;timmt. Aber in &#x017F;ofern &#x017F;ie blo&#x017F;se Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t, i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft von irgend <hi rendition="#i">Etwas</hi>; &#x017F;ie hat einen Gegen-<lb/>
&#x017F;tand, und es i&#x017F;t aus dem obigen klar, da&#x017F;s die&#x017F;er Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand kein andrer &#x017F;ei, als das Sy&#x017F;tem des men&#x017F;chlichen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C</fw><fw place="bottom" type="catch">Wi&#x017F;-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0041] ſondern auch ihren abgeleiteten Sätzen nach in der Wiſſen- ſchaftslehre enthalten; und es giebt gar keine beſondre Wiſſenſchaft, ſondern nur Theile einer und eben der- ſelben Wiſſenſchaftslehre; oder es wird in beiden Wiſ- ſenſchaften auf verſchiedene Art gefolgert, welches auch nicht möglich iſt, da die Wiſſenſchaftslehre allen Wiſſenſchaften ihre Form geben ſoll: oder es muſs zu einem Satze der bloſſen Wiſſenſchaftslehre noch Etwas, das freilich nirgend anders her als aus der Wiſſenſchafts- lehre entlehnt ſeyn kann, hinzukommen, wenn er Grundſatz einer beſondern Wiſſenſchaft werden ſoll. Es entſteht die Frage: welches iſt das hinzukommende, oder — da dieſes hinzukommende die Unterſcheidung ausmacht — welches iſt die beſtimmte Grenze zwiſchen der Wiſſenſchaftslehre überhaupt, und jeder beſondern Wiſſenſchaft. Die Wiſſenſchaftslehre ſollte ferner in dergleichen Rückſicht allen Wiſſenſchaften ihre Form beſtimmen. Wie das geſchehen könne, iſt ſchon oben angezeigt. Aber es tritt eine andere Wiſſenſchaft, unter dem Na- men der Logik, mit den gleichen Anſprüchen uns in den Weg. Zwiſchen beiden muſs entſchieden, es muſs unterſucht werden, wie die Wiſſenſchaftslehre ſich zur Logik verhalte. Die Wiſſenſchaftslehre iſt ſelbſt eine Wiſſenſchaft, und was ſie in dieſer Rückſicht zu leiſten habe, iſt oben beſtimmt. Aber in ſofern ſie bloſse Wiſſenſchaft iſt, iſt ſie Wiſſenſchaft von irgend Etwas; ſie hat einen Gegen- ſtand, und es iſt aus dem obigen klar, daſs dieſer Ge- genſtand kein andrer ſei, als das Syſtem des menſchlichen Wiſ- C

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/41
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/41>, abgerufen am 19.04.2024.