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[Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802.

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so wüßte ich doch nicht: was ihm, zu einem
vollkommenen Prinzen damaliger Zeit, ge-
fehlt haben sollte. --

Aber ohne diesen Ring wie unglücklich
würde er bey allen Vollkommenheiten gewe-
sen seyn!--Nur dieser machte es ihm möglich
Wachen, Mauern, und Palisaden zu durch-
dringen, das theure Mädchen zwischen ih-
ren Blumen wandlen zu sehen, und das
süße Gift der Liebe in vollen Zügen einzu-
athmen.

Abends zuvor hatte Selim das Geheim-
niß erfahren; Morgens schon, ehe die Sonne
aufging, irrte er unsichtbar in den Gebü-
schen des Parkes umher, und entdeckte, nach
langem Schmachten, plötzlich das niedrige
Häuschen von hohen Linden beschattet.

Da lag das holdseelige Mädchen, im
höchsten Schmucke der Jugend. So schön
und so rein, als hätte sie noch keine Stunde

ſo wuͤßte ich doch nicht: was ihm, zu einem
vollkommenen Prinzen damaliger Zeit, ge-
fehlt haben ſollte. —

Aber ohne dieſen Ring wie ungluͤcklich
wuͤrde er bey allen Vollkommenheiten gewe-
ſen ſeyn!—Nur dieſer machte es ihm moͤglich
Wachen, Mauern, und Paliſaden zu durch-
dringen, das theure Maͤdchen zwiſchen ih-
ren Blumen wandlen zu ſehen, und das
ſuͤße Gift der Liebe in vollen Zuͤgen einzu-
athmen.

Abends zuvor hatte Selim das Geheim-
niß erfahren; Morgens ſchon, ehe die Sonne
aufging, irrte er unſichtbar in den Gebuͤ-
ſchen des Parkes umher, und entdeckte, nach
langem Schmachten, ploͤtzlich das niedrige
Haͤuschen von hohen Linden beſchattet.

Da lag das holdſeelige Maͤdchen, im
hoͤchſten Schmucke der Jugend. So ſchoͤn
und ſo rein, als haͤtte ſie noch keine Stunde

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[13/0017] ſo wuͤßte ich doch nicht: was ihm, zu einem vollkommenen Prinzen damaliger Zeit, ge- fehlt haben ſollte. — Aber ohne dieſen Ring wie ungluͤcklich wuͤrde er bey allen Vollkommenheiten gewe- ſen ſeyn!—Nur dieſer machte es ihm moͤglich Wachen, Mauern, und Paliſaden zu durch- dringen, das theure Maͤdchen zwiſchen ih- ren Blumen wandlen zu ſehen, und das ſuͤße Gift der Liebe in vollen Zuͤgen einzu- athmen. Abends zuvor hatte Selim das Geheim- niß erfahren; Morgens ſchon, ehe die Sonne aufging, irrte er unſichtbar in den Gebuͤ- ſchen des Parkes umher, und entdeckte, nach langem Schmachten, ploͤtzlich das niedrige Haͤuschen von hohen Linden beſchattet. Da lag das holdſeelige Maͤdchen, im hoͤchſten Schmucke der Jugend. So ſchoͤn und ſo rein, als haͤtte ſie noch keine Stunde

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Zitationshilfe: [Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/17>, abgerufen am 16.04.2024.