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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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des Prinzen Heinrich, Prinz Heinrich selbst, Alles ist bloße Zu-
gabe, Material für die Rumpelkammer. Das Loos, das dem
Prinzen bei Lebzeiten fiel, das Geschick, "durch ein helleres Licht
verdunkelt zu werden," verfolgt ihn auch im Tode noch -- an
derselben Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelebt, ge-
herrscht, geschaffen und gestiftet hat, ist er ein halb Vergessener,
blos weil der Stern seines Bruders vor ihm daselbst geleuchtet
hat. Ein Theil dieses Mißgeschickes wird bleiben; aber es ist nicht
unwahrscheinlich, daß die nächsten 50 Jahre Verdienst und Klang
des Namens mehr in Harmonie bringen werden. Um es mit einem
Wort zu sagen: dem Prinzen hat der Dichter bisher gefehlt.
Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung, Schauspiel ihn
unter ihre Gestalten aufnehmen werden, werden sich die Prinz-
Heinrichs-Zimmer im Rheinsberger Schlosse neu beleben, und die
Castellane der Zukunft werden zu erzählen wissen, was in dieser
und jener Fensternische geschah, wer den Blumenkasten überreichte
und unter welchem Kastanienbaume der Prinz seinen Thee trank
und mit freudigem: "oh soyez le bien venu" sich erhob, wenn
Prinz Louis am Schloßthor hielt und lachend aus dem Sattel
sprang.

Historische Gestalten theilen ganz das Schicksal von Statuen.
Die scheinbar begünstigteren stehen, durch ein Jahrtausend hin
immer leuchtend, immer bewundert auf dem Postament des Ruh-
mes; andere werden verschüttet oder in den Fluß geworfen. Aber
es kommt der Moment ihrer Wieder-Erstehung, und nun erst,
neben den glücklicheren neu-aufgerichtet, erwächst der Nachwelt die
Möglichkeit des Vergleichs. Es muß zugegeben werden, und ich
habe in dem Kapitel "die Kirche zu Rheinsberg" in nicht mißzu-
verstehender Weise darauf hingewiesen, daß etwas prononcirt Fran-
zösisches in Sitte, Gewöhnung und Ausdruck und das völlige
Fehlen jener churbrandenburgischen Derbheit, die wir an
Friedrich dem Großen so vorzugsweise in Affection genommen
haben, der Popularisirung des Prinzen Heinrich stets hindernd
im Wege stehen wird; es fehlt aber auch noch viel bis zu jenem

des Prinzen Heinrich, Prinz Heinrich ſelbſt, Alles iſt bloße Zu-
gabe, Material für die Rumpelkammer. Das Loos, das dem
Prinzen bei Lebzeiten fiel, das Geſchick, „durch ein helleres Licht
verdunkelt zu werden,“ verfolgt ihn auch im Tode noch — an
derſelben Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelebt, ge-
herrſcht, geſchaffen und geſtiftet hat, iſt er ein halb Vergeſſener,
blos weil der Stern ſeines Bruders vor ihm daſelbſt geleuchtet
hat. Ein Theil dieſes Mißgeſchickes wird bleiben; aber es iſt nicht
unwahrſcheinlich, daß die nächſten 50 Jahre Verdienſt und Klang
des Namens mehr in Harmonie bringen werden. Um es mit einem
Wort zu ſagen: dem Prinzen hat der Dichter bisher gefehlt.
Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung, Schauſpiel ihn
unter ihre Geſtalten aufnehmen werden, werden ſich die Prinz-
Heinrichs-Zimmer im Rheinsberger Schloſſe neu beleben, und die
Caſtellane der Zukunft werden zu erzählen wiſſen, was in dieſer
und jener Fenſterniſche geſchah, wer den Blumenkaſten überreichte
und unter welchem Kaſtanienbaume der Prinz ſeinen Thee trank
und mit freudigem: »oh soyez le bien venu« ſich erhob, wenn
Prinz Louis am Schloßthor hielt und lachend aus dem Sattel
ſprang.

Hiſtoriſche Geſtalten theilen ganz das Schickſal von Statuen.
Die ſcheinbar begünſtigteren ſtehen, durch ein Jahrtauſend hin
immer leuchtend, immer bewundert auf dem Poſtament des Ruh-
mes; andere werden verſchüttet oder in den Fluß geworfen. Aber
es kommt der Moment ihrer Wieder-Erſtehung, und nun erſt,
neben den glücklicheren neu-aufgerichtet, erwächſt der Nachwelt die
Möglichkeit des Vergleichs. Es muß zugegeben werden, und ich
habe in dem Kapitel „die Kirche zu Rheinsberg“ in nicht mißzu-
verſtehender Weiſe darauf hingewieſen, daß etwas prononcirt Fran-
zöſiſches in Sitte, Gewöhnung und Ausdruck und das völlige
Fehlen jener churbrandenburgiſchen Derbheit, die wir an
Friedrich dem Großen ſo vorzugsweiſe in Affection genommen
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[101/0119] des Prinzen Heinrich, Prinz Heinrich ſelbſt, Alles iſt bloße Zu- gabe, Material für die Rumpelkammer. Das Loos, das dem Prinzen bei Lebzeiten fiel, das Geſchick, „durch ein helleres Licht verdunkelt zu werden,“ verfolgt ihn auch im Tode noch — an derſelben Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelebt, ge- herrſcht, geſchaffen und geſtiftet hat, iſt er ein halb Vergeſſener, blos weil der Stern ſeines Bruders vor ihm daſelbſt geleuchtet hat. Ein Theil dieſes Mißgeſchickes wird bleiben; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die nächſten 50 Jahre Verdienſt und Klang des Namens mehr in Harmonie bringen werden. Um es mit einem Wort zu ſagen: dem Prinzen hat der Dichter bisher gefehlt. Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung, Schauſpiel ihn unter ihre Geſtalten aufnehmen werden, werden ſich die Prinz- Heinrichs-Zimmer im Rheinsberger Schloſſe neu beleben, und die Caſtellane der Zukunft werden zu erzählen wiſſen, was in dieſer und jener Fenſterniſche geſchah, wer den Blumenkaſten überreichte und unter welchem Kaſtanienbaume der Prinz ſeinen Thee trank und mit freudigem: »oh soyez le bien venu« ſich erhob, wenn Prinz Louis am Schloßthor hielt und lachend aus dem Sattel ſprang. Hiſtoriſche Geſtalten theilen ganz das Schickſal von Statuen. Die ſcheinbar begünſtigteren ſtehen, durch ein Jahrtauſend hin immer leuchtend, immer bewundert auf dem Poſtament des Ruh- mes; andere werden verſchüttet oder in den Fluß geworfen. Aber es kommt der Moment ihrer Wieder-Erſtehung, und nun erſt, neben den glücklicheren neu-aufgerichtet, erwächſt der Nachwelt die Möglichkeit des Vergleichs. Es muß zugegeben werden, und ich habe in dem Kapitel „die Kirche zu Rheinsberg“ in nicht mißzu- verſtehender Weiſe darauf hingewieſen, daß etwas prononcirt Fran- zöſiſches in Sitte, Gewöhnung und Ausdruck und das völlige Fehlen jener churbrandenburgiſchen Derbheit, die wir an Friedrich dem Großen ſo vorzugsweiſe in Affection genommen haben, der Populariſirung des Prinzen Heinrich ſtets hindernd im Wege ſtehen wird; es fehlt aber auch noch viel bis zu jenem

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/119>, abgerufen am 19.04.2024.