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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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von Jahren) auf den Tod einer hingeschiedenen, geliebten Frau
gedichtet zu sehen; aber das Lächeln über die altfränkische Mode
ist unberechtigt. Es ist mit einem solchen Gedicht, wie mit einem
Bildhauer, der seine Frau verliert und ihr ein Monument errich-
ten will. Er hat sie selbst am besten gekannt, trägt ihr Bild am
treusten in der Seele, und so geht er freudig und gutes Muthes
an die Arbeit. Die Arbeit ist mühevoll und kostet ihm Jahre,
aber endlich hat er's erreicht und Niemand tritt jetzt heran und
wundert sich, daß er Jahre gebraucht hat zu einer Schöpfung der
Liebe und Pietät. So muß man eine solche "Trauer-Ode" auf-
fassen, die damals gemeißelt wurde, wie in Stein. Wir gestat-
ten jetzt nur eine hingeworfene Skizze, einen lyrischen Ausruf, als
Ausdruck des Gefühls. Aber Beides kann neben einander bestehen,
jedes ist eine berechtigte Art und es ist falsch, einfach zu sagen,
die alten Poeten von damals, weil sie weder in Desperation, noch
in Melancholie dichteten, hätten überhaupt nichts empfunden. Man
lese die Dinge ohne Vorurtheil, und man wird an der Wirkung
auf das eigene Herz wahrnehmen, daß ein Herz in diesen zopfigen
Strophen schlägt.



von Jahren) auf den Tod einer hingeſchiedenen, geliebten Frau
gedichtet zu ſehen; aber das Lächeln über die altfränkiſche Mode
iſt unberechtigt. Es iſt mit einem ſolchen Gedicht, wie mit einem
Bildhauer, der ſeine Frau verliert und ihr ein Monument errich-
ten will. Er hat ſie ſelbſt am beſten gekannt, trägt ihr Bild am
treuſten in der Seele, und ſo geht er freudig und gutes Muthes
an die Arbeit. Die Arbeit iſt mühevoll und koſtet ihm Jahre,
aber endlich hat er’s erreicht und Niemand tritt jetzt heran und
wundert ſich, daß er Jahre gebraucht hat zu einer Schöpfung der
Liebe und Pietät. So muß man eine ſolche „Trauer-Ode“ auf-
faſſen, die damals gemeißelt wurde, wie in Stein. Wir geſtat-
ten jetzt nur eine hingeworfene Skizze, einen lyriſchen Ausruf, als
Ausdruck des Gefühls. Aber Beides kann neben einander beſtehen,
jedes iſt eine berechtigte Art und es iſt falſch, einfach zu ſagen,
die alten Poeten von damals, weil ſie weder in Deſperation, noch
in Melancholie dichteten, hätten überhaupt nichts empfunden. Man
leſe die Dinge ohne Vorurtheil, und man wird an der Wirkung
auf das eigene Herz wahrnehmen, daß ein Herz in dieſen zopfigen
Strophen ſchlägt.



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[272/0290] von Jahren) auf den Tod einer hingeſchiedenen, geliebten Frau gedichtet zu ſehen; aber das Lächeln über die altfränkiſche Mode iſt unberechtigt. Es iſt mit einem ſolchen Gedicht, wie mit einem Bildhauer, der ſeine Frau verliert und ihr ein Monument errich- ten will. Er hat ſie ſelbſt am beſten gekannt, trägt ihr Bild am treuſten in der Seele, und ſo geht er freudig und gutes Muthes an die Arbeit. Die Arbeit iſt mühevoll und koſtet ihm Jahre, aber endlich hat er’s erreicht und Niemand tritt jetzt heran und wundert ſich, daß er Jahre gebraucht hat zu einer Schöpfung der Liebe und Pietät. So muß man eine ſolche „Trauer-Ode“ auf- faſſen, die damals gemeißelt wurde, wie in Stein. Wir geſtat- ten jetzt nur eine hingeworfene Skizze, einen lyriſchen Ausruf, als Ausdruck des Gefühls. Aber Beides kann neben einander beſtehen, jedes iſt eine berechtigte Art und es iſt falſch, einfach zu ſagen, die alten Poeten von damals, weil ſie weder in Deſperation, noch in Melancholie dichteten, hätten überhaupt nichts empfunden. Man leſe die Dinge ohne Vorurtheil, und man wird an der Wirkung auf das eigene Herz wahrnehmen, daß ein Herz in dieſen zopfigen Strophen ſchlägt.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/290>, abgerufen am 25.04.2024.